Wie wir in unserem Beitrag vom 11.05.2021 bereits informiert haben („SKWhistle: Hinweisgebersystem rechtssicher implementieren“), ist seit dem Inkrafttreten der Richtlinie (EU) 2019/1937 zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden (sog. Whistleblower-Richtlinie; nachfolgend „WB-RL“ genannt), verpflichtend vorgeschrieben, dass alle Unternehmen mit einer Beschäftigtenzahl von mindestens 250 Mitarbeitern bis spätestens zum 17. Dezember 2021 ein Meldesystem für Compliance-Hinweise durch Whistleblower einrichten müssen. Unternehmen mit einer Beschäftigtenzahl von 50 bis 249 Mitarbeitern müssen die jeweiligen Vorgaben dagegen erst bis zum 17. Dezember 2023 umsetzen.
Die in der Richtlinie vorgeschriebene Frist für EU-Mitgliedstaaten zur Umsetzung der entsprechenden Vorgaben in nationales Recht läuft nun am 17. Dezember 2021 ab. Der vorliegende Beitrag soll daher über den „aktuellen Stand“ aufklären und nochmals auf einige Aspekte der WB-RL eingehen.
Wo bleibt das deutsche Umsetzungsgesetz?
Während sich bereits die (noch) kommissarisch regierende „große Koalition“ auf keinen konkreten Gesetzestext einigen konnte, stecken auch die Pläne der künftigen Regierung noch in den Kinderschuhen. Im Koalitionsvertrag vom 24. November 2021 zwischen SPD, FDP und den Grünen findet sich lediglich die folgende Passage:
„Wir setzen die EU-Whistleblower-Richtlinie rechtssicher und praktikabel um.“
Da der deutsche Gesetzgeber eine fristgerechte Umsetzung - zumindest nach aktuellem Stand - „verschlafen“ hat, sollten sich Unternehmen bereits jetzt intensiv mit den entsprechenden Vorgaben der WB-RL auseinandersetzen. Sobald eine Einigung über ein konkretes Gesetz vorliegt, rechnen wir mit einem zügigen Inkrafttreten der nationalen Vorgaben. Dies gilt umso mehr, da der Bundesrepublik Deutschland andernfalls ein EU-Vertragsverletzungsverfahren droht.
Warum Regelungen zum Whistleblowing?
Gemäß Art. 1 WB-RL ist das Ziel der Richtlinie „eine bessere Durchsetzung des Unionsrechts und der Unionspolitik in bestimmten Bereichen durch die Festlegung gemeinsamer Mindeststandards, die ein hohes Schutzniveau für Personen sicherstellen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden“. Unternehmensinterne Bereiche, in denen es erfahrungsgemäß regelmäßig zu Verstößen kommt sowie besonders bedeutsame Lebensbereiche (bspw. im Bereich des Umwelt- oder Verbraucherschutzrechts) sollen durch die einzuführenden nationalen Regelungen innerhalb der gesamten Europäischen Union geschützt werden. Um meldewilligen Personen zudem die Angst vor Repressalien zu nehmen, soll ein hohes Schutzniveau für Hinweisgeber gewährleistet werden.
Im Gegensatz zu einer europaweiten Vollharmonisierung - wie sie bspw. im Bereich des Datenschutzrechts bekannt ist -, hat sich der europäische Gesetzgeber lediglich für die Vorgabe von Mindestanforderungen entschieden. Den Mitgliedsstaaten ist es jedoch möglich, die vorgegebenen Standards durch weitere Anforderungen zu verschärfen.
Was und wen betrifft die WB-RL?
In Art. 2 Abs. 1 WB-RL wird der sachliche Anwendungsbereich der Richtlinie dargestellt. Der Unionsgesetzgeber hat sich hierbei für eine Auflistung lediglich bestimmter Anwendungsfälle beschränkt. So fallen bspw. Verstöße gegen explizit der Richtlinie als Anlage beigefügte Rechtsakte der Europäischen Union in den Anwendungsbereich der Richtlinie, sofern u.a. die folgenden Bereiche hiervon betroffen sind:
- Öffentliches Auftragswesen,
- Finanzdienstleistungen,
- Produktsicherheit,
- Verkehrssicherheit,
- Umweltschutz,
- Strahlenschutz,
- Lebensmittelsicherheit,
- Öffentliche Gesundheit und
- Verbraucherschutz.
Wie bereits dargestellt, handelt es sich hierbei jedoch lediglich um zwingend vorgegebene Lebensbereiche. Dem deutschen Gesetzgeber bleibt es daher unbenommen, die einzuführenden Hinweisgebersysteme auch auf weitere Lebensbereiche zu erstrecken. Hiervon gehen wir derzeit aus, da sich im Koalitionsvertrag der künftigen Bundesregierung folgende Passage findet:
„Whistleblower müssen nicht nur bei der Meldung von Verstößen gegen EU-Recht vor rechtlichen Nachteilen geschützt sein, sondern auch von erheblichen Verstößen gegen Vorschriften oder sonstigem erheblichen Fehlverhalten, dessen Aufdeckung im besonderen öffentlichen Interesse liegt.“
In Art. 3 WB-RL hat der europäische Gesetzgeber jedoch einige Lebensbereiche ausdrücklich aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie ausgeklammert. Geht es bspw. um den Schutz der anwaltlichen und ärztlichen Verschwiegenheitspflichten, ist eine Berufung auf den Schutz der WB-RL nicht möglich.
Der persönliche Anwendungsbereich gemäß Art. 4 WB-RL ist sprachlich sowie inhaltlich sehr weit gefasst. Die Richtlinie gilt für Hinweisgeber, die im privaten oder im öffentlichen Sektor tätig sind und im beruflichen Kontext Informationen über entsprechende Verstöße erlangt haben. Betroffen sind neben Arbeitnehmern insbesondere auch Selbstständige, Anteilseigner und Personen, die dem Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgan eines Unternehmens angehören, bezahlte und unbezahlte Praktikanten sowie Personen, die unter der Aufsicht und Leitung von Auftragnehmern und Lieferanten arbeiten. Auch Personen, die im Rahmen eines inzwischen beendeten Arbeitsverhältnisses Kenntnis über Verstöße erlangen, sind gemäß Art. 4 Abs. 2 WB-RL erfasst.
Welche Anforderungen sind an Hinweisgebersysteme zu stellen?
Kern der Richtlinie stellen u.a die gemäß Art. 8 Abs. 1 WB-RL von juristischen Personen des privaten oder öffentlichen Sektors zu implementierenden „Kanäle und Verfahren für interne Meldungen und für Folgemaßnahmen“ dar. Darüber hinaus „können“ auch externen Personen, welche mit der juristischen Person „im Kontakt stehen“, Meldungen von Informationen über Verstöße über den internen Meldekanal ermöglicht werden.
Die Pflicht zur Einführung entsprechender interner Meldekanäle trifft dabei insbesondere Unternehmen mit 50 oder mehr Arbeitnehmern (Art. 8 Abs. 3 WB-RL) sowie alle juristischen Personen des öffentlichen Sektors (Art. 8 Abs. 9 WB-RL).
Die bereitzustellenden Meldekanäle können gemäß Art. 8 Abs. 5 WB-RL intern von einer hierfür benannten Person sowie extern von einem Dritten bereitgestellt werden. Ebenfalls sind gemäß Art. 9 WB-RL gewisse Anforderungen im Hinblick auf das jeweilige Verfahren zu beachten. Insbesondere die Vertraulichkeit der Identität des jeweiligen Hinweisgebers sowie Dritter muss gewahrt sein. Nicht befugte Mitarbeiter dürfen zudem keinen Zugriff zu den entsprechenden Daten erhalten. Gemäß Art. 6 Abs. 2 WB-RL obliegt es dagegen den Mitgliedsstaaten, ob und inwieweit auch anonyme Meldeverfahren vorzusehen sind. Ob von dieser Möglichkeit in Deutschland Gebrauch gemacht wird, lässt sich derzeit noch nicht absehen. Jedenfalls können Unternehmen eigenmächtig diese Möglichkeit vorsehen, um eine möglichst weitreichende Inanspruchnahme des Hinweisgebersystems zu ermöglichen. Dies wird - sofern nicht ohnehin eine Verpflichtung hierzu besteht - u.a. eine unternehmenspolitische Entscheidung darstellen.
Dem jeweiligen Hinweisgeber muss nach den klaren Vorgaben der WB-RL eine Bestätigung über den Eingang der jeweiligen Meldung innerhalb von sieben Tagen zugehen sowie spätestens innerhalb von drei Monaten nach der Bestätigung eine Rückmeldung über Folgemaßnahmen (bspw. über weitere interne Ermittlungen) zur Verfügung gestellt werden. Zudem ist die Erteilung klarer und leicht zugänglicher Informationen über das jeweilige Verfahren vorgesehen.
Gemäß Art. 10 WB-RL sind die Mitgliedsstaaten darüber hinaus dazu verpflichtet, zuständige Behörden zu benennen, die befugt sind, entsprechende Meldungen entgegenzunehmen (sog. externe Meldekanäle). Auch wenn dies keine unmittelbar innerbetriebliche Verpflichtung darstellt, wird dies Auswirkungen auf eine Vielzahl von Unternehmen entfalten.
Sind konzernweite Hinweisgebersysteme möglich?
Ob und inwieweit innerhalb eines Konzerns auch ein zentrales Hinweisgebersystem ausreichend ist, stellt eine derzeit noch nicht abschließend geklärte Frage dar. Wie wir in unserem Beitrag vom 29. September 2021 bereits angeführt haben („Viele Köche braucht das konzernweite Hinweisgebersystem“), hat sich die Europäische Kommission in zwei Stellungnahmen zu dieser Thematik eher restriktiv positioniert. Nach der Auffassung der EU-Kommission ist ein zentrales Hinweisgebersystem im Konzern grundsätzlich nicht ausreichend. Vielmehr müsse für jedes Konzernunternehmen ein eigenes Hinweisgebersystem eingeführt werden.
Ausnahmen seien allerdings grundsätzlich bei (Konzern-)Unternehmen mit 50 bis 249 Mitarbeitern möglich. Die Richtlinie gestatte Unternehmen in dieser Größenordnung Ressourcen zu teilen, um Meldungen zu empfangen und Untersuchungen durchzuführen (vgl. Artikel 8 Absatz 6 WB-RL).
Nach derzeitigem Stand bleibt abzuwarten, wir der nationale Gesetzgeber auf diese Stellungnahmen reagiert und inwiefern sie Niederschlag in einem deutschen Umsetzungsgesetz finden.
Wie werden Hinweisgeber geschützt?
In Art. 6 WB-RL ist ein expliziter Anspruch der jeweiligen Hinweisgeber auf Schutz statuiert. Dies gilt jedoch u.a. nur unter der Voraussetzung, dass „sie hinreichenden Grund zu der Annahme hatten, dass die gemeldeten Informationen über Verstöße zum Zeitpunkt der Meldung der Wahrheit entsprachen und dass diese Informationen in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fielen“. Hierbei fällt insbesondere auf, dass die Richtlinie nicht danach unterscheidet, ob es sich um eine interne oder eine externe Meldung gehandelt hat. Sämtliche „Arten“ einer entsprechenden Meldung stehen daher grundsätzlich gleichwertig nebeneinander.
Zudem dürfen sich Hinweisgeber unter gewissen Voraussetzungen an die Öffentlichkeit wenden - insbesondere wenn eine vorherige interne oder externe Meldung „fehlgeschlagen“ ist - und haben auch in diesem Fall den vorbezeichneten „Anspruch auf Schutz“.
Unterfällt die Handlung eines Hinweisgebers diesem Schutzanspruch, sind weitere, gegen diesen gerichtete Repressalien ausgeschlossen (Art. 19 WB-RL). Hierunter fallen bspw.
- die Suspendierung, Kündigung oder vergleichbare Maßnahmen,
- die Herabstufung oder Versagung einer Beförderung,
- die Versagung der Teilnahme an Weiterbildungsmaßnahmen,
- die Disziplinarmaßnahme, Rüge oder sonstige Sanktion sowie
- die Nichtverlängerung oder vorzeitige Beendigung eines befristeten Arbeitsvertrags.
SKWhistle als Hilfestellung
Bereits diese kurze Darstellung der künftig zu beachtenden Regelungen zeigt einen umfassenden Handlungsbedarf für Unternehmen auf. Um alle gesetzlichen Anforderungen rechtssicher zu implementieren, ist eine professionelle Beratung unerlässlich.
Mit „SKWhistle“ haben wir eine modulare Beratungslösung geschaffen, die Sie beim Aufbau, bei der Einrichtung sowie beim operativen Betrieb eines Hinweisgebersystems unterstützt. Die einzelnen Module können dabei wahlweise zu vereinbarten Festpreisen oder individuell nach dem jeweiligen Aufwand gebucht werden. Bei Bedarf beraten wir Sie auch gerne bei der Wahl einer technischen Lösung.