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05.07.2022

Aktuelle Rechtsprechung des BGH: Vertragsanpassungen wegen Störung der Geschäftsgrundlage

Aktuell sind die Gerichte mit einer Vielzahl von Vorgängen befasst, die aus und im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie resultieren. Möglichkeiten um Verträge nachträglich anzupassen, werden im Hinblick auf Preissteigerungen, Lieferstörungen etc. verstärkt nachgefragt. Die Regelungen zur Störung der Geschäftsgrundlage aus § 313 BGB können hierfür einen geeigneten Ansatz bieten. Diese Richterrecht kodifizierende Lehre steht im Spannungsfeld zum Grundsatz „pacta sunt servanda“ (lat.: Verträge sollen bedient bzw. gehalten werden). Sie wird von der Rechtsprechung restriktiv gehandhabt. 

In diesem Jahr sind von dem für das gewerbliche Mietrecht zuständigen XII. Zivilsenat des BGH bereits vier Entscheidungen veröffentlicht worden, in welchen sich der BGH mit der Frage, ob Vertragsanpassungen durch die Covid-19-Pandemie bedingte Schließung eines Einzelhandelsgeschäfts zulässig sind, befasste. Auch der III. Zivilsenat des BGH hat sich in einem aktuellen Beschluss aus 2022 mit der Änderung der Geschäftsgrundlage auseinandergesetzt. Zu erwarten ist, dass zeitnah weitere Entscheidungen veröffentlicht werden, in welchen die Gerichte das Bedürfnis der Rechtssuchenden nach Vertragsanpassung beurteilen.

  • Im Urteil vom 12.01.2022, XII ZR 8/21, setzte sich der BGH erstmalig mit der „Pandemiemiete“ auseinander. Der BGH stellt klar, dass die durch die Covid-19-Pandemie bedingte Schließung eines Einzelhandelsgeschäfts zwar nicht als Mangel der Mietsache im Sinne von § 536 Abs. 1 BGB anzusehen sei. Dem Vermieter werde dadurch die vertraglich geschuldete Leistung zur Überlassung und Erhaltung der Mietsache in einem zum vertragsgemäßen Gebrauch geeigneten Zustand auch nicht ganz oder teilweise unmöglich. Doch komme im Fall einer Geschäftsschließung, die auf einer hoheitlichen Maßnahme zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie beruhe, grundsätzlich ein Anspruch des Mieters von gewerblich genutzten Räumen auf Anpassung der Miete wegen Störung der Geschäftsgrundlage gem. § 313 Abs. 1 BGB in Betracht. Auf dieser Grundlage könne eine Anpassung nur insoweit verlangt werden, als dem einen Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden könne. Durch die Covid-19-Pandemie habe sich ein allgemeines Lebensrisiko verwirklicht, das von der mietvertraglichen Risikoverteilung ohne eine entsprechende vertragliche Regelung nicht erfasst werde. Diese Systemkrise mit ihren weitreichenden Folgen habe vielmehr zu einer Störung der großen Geschäftsgrundlage geführt. Das damit verbundene Risiko könne regelmäßig keiner Vertragspartei allein zugewiesen werden. Auch wenn die mit einer pandemiebedingten Betriebsschließung verbundene Gebrauchsbeeinträchtigung der Mietsache nicht allein dem Verwendungsrisiko des Mieters zugeordnet werden könne, bedeute dies aber nicht, dass der Mieter stets eine Anpassung der Miete für den Zeitraum der Schließung verlangen könne. Ob dem Mieter ein Festhalten an dem unveränderten Vertrag unzumutbar sei, bedürfe einer umfassenden Abwägung, bei der sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen seien. Hier verbiete sich jede pauschale Lösung. Bei der vorzunehmenden Abwägung ist von Bedeutung, welche Nachteile dem Mieter durch die Geschäftsschließung und deren Dauer entstanden sind. Hier maßgeblich geworden sei ein erlittener Umsatzrückgang, bezogen auf das konkrete Mietobjekt.
  • Vorgenannte Grundsätze bestätigte der BGH auch im Urteil vom 16.02.2022, XII ZR 17/21, wo er sich erneut mit der Pflicht zur Mietzahlung während der Pandemie auseinandersetze. In der Entscheidung, bei welcher die klagende Vermieterin recht bekam, hob der BGH hervor, dass auch die finanziellen Vorteile zu berücksichtigen seien, die der Mieter aus staatlichen Leistungen zum Ausgleich der pandemiebedingten Nachteile erlangt habe. Aufseiten des Vermietenden könne etwa Bedeutung erlangen, inwieweit diese wirtschaftlich auf die Miete angewiesen seien. Ein Regel-Ausnahme-Verhältnis anzunehmen, das von einer Herabsetzung der Miete um die Hälfte ausgehe und einer abweichungswilligen Vertragspartei die Vortrags- und Beweislast auferlege, verbiete sich.
  • Im weiteren Urteil vom 02.03.2022, XII ZR 36/21, setzte sich der BGH damit auseinander, inwieweit Mieter eine bereits gezahlte Miete (im Rahmen der Durchführung einer Hochzeitsfeier mit der geplanten Bewirtung von 70 Personen) zahlen müssten, gleichwohl die Durchführung aufgrund verschiedener Regelungen in der zu diesem Zeitpunkt geltenden Corona-Schutzverordnung nicht zulässig war. Er entschied, dass Mieter von für eine Hochzeitsfeier am 01.05.2020 gemieteten Räumlichkeiten zur vollständigen Mietzahlung verpflichtet blieben, wenn sie sich nicht damit einverstanden zeigten, aus einer Vielzahl von möglichen Ausweichterminen auch für das Folgejahr 2021 einen für sie passenden Termin auszuwählen. Bei der auch hier stattfindenden Abwägung im Einzelfall stellte das Gericht u.a. maßgeblich darauf ab, dass das Paar standesamtlich schon im Jahr 2018 geheiratet habe und nichts dazu vorgetragen worden sei, warum die Feierlichkeit ausgerechnet an jenem 01.05.2020 stattfinden musste.
  • Mit Beschluss vom 28.04.2022, III ZR 240/21, entschied der BGH, dass die im Rahmen der Bekämpfung der COVID-19-Pandemie hoheitlich angeordneten Besuchs- und Ausgangsbeschränkungen Bewohner eines Pflegeheims nicht zur Entgeltkürzung nach § 10 Abs. 1 WBVG berechtigen würden. Hintergrund der Auseinandersetzung war, dass der Sohn der Beklagten diese im Hinblick auf die durch das SARSCoV-2-Virus verursachte Pandemie aus der Unterbringung in einem Pflegeheim zu sich nach Hause geholt hatte. Das der Beklagten im Pflegeheim zugewiesene Zimmer räumte er dabei nicht. Das vereinbarte Entgelt wurde fortan nur noch anteilig bezahlt. Der BGH beschloss, dass die den Schwerpunkt des (konkreten) Pflegevertrags bildenden Kernleistungen (Überlassung von Wohnraum und Pflege- und Betreuungsleistungen) trotz pandemiebedingt hoheitlich angeordneter Besuchs- und Ausgangsbeschränkungen weiterhin in vollem Umfang erbracht werden konnten. Eine schwerwiegende Änderung der Geschäftsgrundlage im Sinne des § 313 Abs. 1 BGB liege daher nicht vor. Die Besuchs- und Ausgangsbeschränkungen würden primär dem Gesundheitsschutz sowohl der (besonders vulnerablen) Heimbewohner als auch der Heimmitarbeiter dienen, ohne den Vertragszweck in Frage zu stellen. Ein Festhalten am unveränderten Vertrag sei der Beklagten zumutbar, zumal die zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie angeordneten Einschränkungen sozialer Kontakte („Lockdown“) das gesamte gesellschaftliche Zusammenleben, also auch Nichtheimbewohner, erfassten.
  • Im Urteil vom 04.05.2022, XII ZR 64/21, beurteilte der BGH die Frage, ob die Betreiberin eines Fitness-Studios zur Rückzahlung von Mitgliedsbeiträgen verpflichtet sei, welche sie in der Zeit, in der sie ihr Fitnessstudio aufgrund der hoheitlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie schließen musste, von einem Kunden per Lastschrift eingezogen hatte. Der BGH entschied, dass das klagende Mitglied gemäß §§ 275 Abs. 1, § 326 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4, § 346 Abs. 1 BGB einen Anspruch auf Rückzahlung der für den Zeitraum der Schließung entrichteten Monatsbeiträge habe. Diesem Rückzahlungsanspruch des Klägers könne die Betreiberin des Fitness-Studios nicht entgegenhalten, der Vertrag sei wegen Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB dahingehend anzupassen, dass sich die vereinbarte Vertragslaufzeit um die Zeit, in der das Fitnessstudio geschlossen werden musste, verlängert habe. Der Anspruch der Betreiberin auf die begehrte Vertragsanpassung scheide vorliegend u.a. deshalb aus, weil mit Art. 240 § 5 Abs. 2 EGBGB eine speziellere Vorschrift bestehe, die im vorliegenden Fall einem Rückgriff auf die allgemeinen Grundsätze zur Vertragsanpassung wegen Störung der Geschäftsgrundlage entgegenstehe.

Aktuell sind die Gerichte mit einer Vielzahl von Vorgängen befasst, die aus und im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie resultieren. Entsprechende Auseinandersetzungen finden infolge des Angriffskrieges auf die Ukraine, der dazu ausgesprochenen Sanktionen, der Beschaffungskrise und den stattfindenden Preissteigerungen statt. Weitere Rechtsprechung zum Thema möglicher Vertragsanpassungen wird erwartet. Die Rechtsprechung wird eng begleitet.

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