Der EuGH hat mit Urteil vom 4. Oktober 2024, Az. C-621/22, bestätigt, dass ein berechtigtes Interesse nach Art. 6 Abs. 1 lit. f) DSGVO auch bei der entgeltlichen Weitergabe personenbezogener Daten zu Marketing- und Werbezwecken bestehen kann.
Die rechtliche Zulässigkeit muss jedoch im Einzelfall bewertet und im Hinblick auf die Erforderlichkeit kritisch geprüft werden.
I. Hintergrund
Hintergrund der Vorlage ist ein Sachverhalt aus den Niederlanden. Ein Sportverband gab – ohne vorherige Einwilligung – personenbezogene Daten seiner Mitglieder gegen Entgelt an verschiedene Sponsoren (u.a. im Bereich Glücksspiel) weiter, um diesen postalische und elektronische Direktwerbemaßnahmen zu ermöglichen.
Die niederländische Datenschutzaufsichtsbehörde verhängte eine Geldbuße, da es an einer notwendigen Rechtsgrundlage für die Datenverarbeitung fehle. Nach Argumentation des Verbandes kann sich die Weitergabe der Daten dagegen auf eine Verarbeitung zur Wahrung berechtigter Interessen stützen (vgl. Art. 6 Abs. 1 lit. f), Art. 5 Abs. 1 lit. a) DSGVO). Durch die Verarbeitung wurde eine Verbindung zu den Mitgliedern hergestellt. Den Mitgliedern wurden besondere Vorteile durch Vergünstigungen ermöglicht.
II. Entscheidung des EuGH
Der EuGH wiederholte in seinen Ausführungen die drei zentralen Kriterien für eine Verarbeitung zur Wahrung berechtigter Interessen: (1) Ein berechtigtes Interesse des Verantwortlichen oder Dritten, (2) die Erforderlichkeit der Verarbeitung zur Wahrung dieses Interesses, (3) die Abwägung aller Rechte und Interessen der betroffenen Personen.
Für den vorliegenden Fall bekräftigte er, dass wirtschaftliche Interessen zu Werbezwecken im Grundsatz ein berechtigtes Interesse darstellen können, soweit sie rechtmäßig sind und die weiteren datenschutzrechtlichen Vorgaben beachtet werden, z.B. die konkreten Interessen bei Erhebung der Daten im Rahmen der entsprechenden Datenschutzhinweise mitgeteilt werden (vgl. Art. 13 Abs. 1 lit. d) DSGVO).
Kritischer sah der EuGH allerdings die Erforderlichkeit der hier relevanten Datenverarbeitungen. Als möglicherweise mildere Alternative beschreibt der EuGH die Möglichkeit, die Mitglieder im Voraus über die Datenweitergabe zu informieren und ihre Zustimmung für die Weitergabe abzufragen, also eine datenschutzrechtliche Einwilligung einzuholen. Ein solches Vorgehen entspräche dem Grundsatz der Datenminimierung und könnte sich als gleich wirksam erweisen.
Bei der weiteren Interessenabwägung betont der EuGH vorliegend zwei zu berücksichtigende Aspekte in besonderer Weise: Die Umstände und Erwartungen im Kontext der Situation sowie die möglicherweise negativen Folgen einer Weitergabe. Konkret betraf dies die Frage, ob die Mitglieder beim Beitritt zum Verband vernünftigerweise damit rechnen konnten oder mussten, dass ihre Daten gegen Entgelt zu Werbezwecken weitergegeben werden. Außerdem könne es auf den Kontext der Weitergabe ankommen. In diesem Fall wurden die Daten auch an ein Unternehmen in der Glücksspielbranche weitergegeben, sodass durch gezielte Werbemaßnahmen die Gefahr einer Spielsucht gefördert werden könnte.
III Einordnung
Auch wenn sich die grundsätzliche Einordnung von Marketing- und Werbemaßnahmen als mögliches berechtigtes Interesse bereits aus den Erwägungsgründen der DSGVO ableiten ließ (vgl. Erwägungsgrund Nr. 47 DSGVO), ist die ausdrückliche Klarstellung des EuGH zu begrüßen. Gleichzeitig offenbart er anhand der klar umrissenen Prüfkriterien sowie den begleitenden Voraussetzungen die weiterhin hohen Voraussetzungen, die an die Rechtfertigung zur Wahrung berechtigter Interessen zu stellen sind. Eine Weitergabe der Daten ohne vorherige Information oder Abfrage dürfte in diesem Rahmen nach Einschätzung des EuGH daher nur in Ausnahmefällen zulässig sein.
Der EuGH hat sich in seinem Urteil mit dem Verkauf personenbezogener Daten zum Zwecke der Direktwerbung auseinandergesetzt. Nach unserer Einschätzung bedeutet dies für Unternehmen in Deutschland, dass sie dieses EuGH-Urteil auch heranziehen können, um die Anmietung von personenbezogenen Daten für postalische Werbung beurteilen zu können.
Das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb („UWG“; vgl. § 7 Abs. 1 UWG) enthält Vorgaben auch für postalische Werbung. Diese kann unter Umständen wettbewerbsrechtlich zulässig sein. Neben der Einhaltung des UWG muss auch die DSGVO beachtet werden. Für die datenschutzrechtliche Interessenabwägung zur Anmietung / Kauf von personenbezogenen Daten und der anschließenden Verarbeitung zur Versendung von postalischer Werbung kann dieses EuGH-Urteil eine Hilfestellung sein.
Für digitale Werbung (z. B. per E-Mail oder Direktnachricht auf einer Plattform) gelten in Deutschland die strengen Anforderungen an das Vorliegen einer ausreichenden Einwilligung (vgl. § 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG).
Die Entscheidung sollte auch vor dem Hintergrund der weiteren EuGH-Entscheidung, ebenfalls vom 04.10.2024, Az. C‑21/23, beachtet werden. Dort hatte der EuGH die Tür zur Anwendbarkeit des UWG bei DSGVO-Verstößen weit aufgemacht und die Möglichkeit eröffnet, gegen Mitbewerber aufgrund von Datenschutzverstößen vorzugehen. Sie finden unseren Beitrag dazu hier.