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20.11.2024

Änderung der Rechtsprechung zur Beweislast für Erschöpfung von Markenrechten im Parallelhandel

Nach dem Europäischen Gerichtshof hat nun auch ein oberstes nationales Gericht den Parallelhandel mit Markenprodukten erleichtert und gestärkt: Der Österreichische Oberste Gerichtshof (OGH) hat am 22.10.2024 entschieden, dass unter bestimmten Voraussetzungen die Beweislast für den Ort des erstmaligen Inverkehrbringens einer Markenware – der für die Erschöpfung der Markenrechte im EWR relevant ist – beim Markeninhaber und nicht beim Verkäufer der Parallelhandelsware liegt. Damit setzt der OGH in der nationalen Rechtsprechung in Österreich das um, was der EuGH zuvor am 18.01.2024 in der Sache Hewlett Packard Development Company LP ./. Senetic S.A. entschieden hat (klicken sie HIER für unseren Newsbeitrag zum „Hewlett Packard“-Urteil des EuGH). Es ist wegen der EuGH-Vorgabe zu erwarten, dass deutsche Gerichte künftig ähnlich entscheiden werden – daher ist die OGH-Entscheidung auch für Deutschland sehr relevant.

Die Entscheidung wurde freundlicherweise von Herrn Rechtsanwalt Dr. Dyck aus Salzburg zur Verfügung gestellt, der die Drogeriekette vor Gericht vertreten hat. SKW Schwarz war indirekt an dem Verfahren beteiligt, weil SKW Schwarz einen Lieferanten der Drogeriekette beraten und die Prozessführung für diesen unterstützt hat.

 

1. Worum ging es im OGH-Fall?

Eine österreichische Drogeriekette hatte große Mengen von Original-Markenparfums von Parallelhändlern gekauft. Diese hatten der Drogeriekette ihrerseits zugesichert, dass die Markenparfums aus dem EWR stammten. Das ist im Parallelhandel wichtig, weil nur bei Markenware, die vom Markeninhaber oder mit dessen Zustimmung im EWR in Verkehr gebracht wurde, das Markenrecht „erschöpft“ ist: Der Markeninhaber kann dann Händlern, die mit diesen Exemplaren im Binnenmarkt Handel treiben, die Nutzung der Marke auf den konkreten Waren und in der Werbung für diese nicht untersagen (Art. 15 UMV für Unionsmarken bzw. § 24 MarkenG für deutsche Marken). Mit erstmals im EWR in Verkehr gebrachter Markenware können auch Händler, die nicht zum selektiven Vertriebssystem der Markeninhaberin gehören – wie die Drogeriekette – somit legal Handel treiben, ohne dabei die Markenrechte der Markeninhaberin zu verletzen.

Entscheidend kann deshalb sein, wer den Ort des erstmaligen Inverkehrbringens beweisen muss.

Die Markeninhaberin hatte Testkäufe in der Drogeriekette vorgenommen und anhand der Tracking-Codes, die auf jedem Parfumexemplar aufgedruckt sind, den Vertriebsweg der Testkaufexemplare in ihrer internen Datenbank überprüft. Sie behauptete, die Datenbankinhalte hätten ergeben, dass die konkreten Produkte erstmals in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) und damit außerhalb des EWR in Verkehr gebracht wurden.

Die beklagte Drogeriekette bestritt dies und behauptete, die Ware stamme aus dem EWR. Allerdings konnte sie dies nicht belegen, weil ihre Vorlieferanten naturgemäß nicht offenlegen, von welchen Quellen im EWR sie die Markenware gekauft hatten. Das ist im Parallelhandel eigentlich immer so. Andernfalls würde die Markeninhaberin die Quelle (typischerweise Vertragshändler, die Überschussware in den Parallelhandel verkaufen) sofort verschließen. Außerdem könnte die Drogeriekette den Lieferanten in der Belieferungskette überspringen, wenn sie die Quelle kennen würde. Verkäufer parallelgehandelter Markenware befinden sich deshalb immer in einem Dilemma, weil die Erschöpfung, auf die sie sich berufen, von ihnen regelmäßig nicht bewiesen werden kann (mehr zum Beweislast-Dilemma bei Parallelhandelsware finden Sie HIER, in meiner Urteilsbesprechung zum „Hewlett Packard“-Urteil, unter Ziffer 2.).

Die Vorinstanzen kamen zwar zu dem Ergebnis, dass die Markeninhaberin das erstmalige Inverkehrbringen in den VAE nicht beweisen konnte, weil die unternehmensinternen Datenbankergebnisse objektiv nicht überprüfbar und nicht durch Handels- und Frachtdokumente belegt waren. Sie meinten aber, dass es darauf nicht weiter ankomme, weil die Beweislast ohnehin bei der Drogeriekette liege – und diese habe ihrerseits nicht beweisen können, dass ihre Ware aus dem EWR stammte. Folglich wurde die Drogeriekette in 1. und 2. Instanz wegen Markenverletzung verurteilt.

 

2. Und dann kam die EuGH-Entscheidung „Hewlett Packard“…

In der Entscheidung „Hewlett Packard“ hatte der EuGH am 18.01.2024 das Beweislast-Dilemma im Parallelhandel und dessen negative Auswirkungen auf den Handel und die Preisgestaltung im Binnenmarkt erkannt. Das Ergebnis war nicht weniger als ein grundlegender Paradigmenwechsel – denn die Rechtsprechung hatte zuvor die Beweislast für die Erschöpfung immer dem Händler auferlegt, obwohl dieser den Erschöpfungsbeweis nicht führen kann. Das Ergebnis war regelmäßig, dass Händler außerhalb des selektiven Vertriebssystems oftmals nur aufgrund der bloßen Behauptung der Markeninhaberin, es habe sich um außereuropäische Ware gehandelt, wegen Markenverletzung verurteilt wurden.

Die „Hewlett Packard“-Entscheidung, auf die auch der OGH in seinem Urteil umfassend Bezug nimmt, änderte diese Situation fundamental. Unter bestimmten Voraussetzungen gilt seither eine Beweislastumkehr, d.h. die Markeninhaberin muss den Beweis über den Ort des erstmaligen Inverkehrbringens führen – die bloße Behauptung genügt nicht mehr.

Allgemein formuliert lautet die Voraussetzung, dass die „traditionelle“ Beweislastverteilung es der Markeninhaberin ermöglichen könnte, nationale Märkte abzuschotten und den Fortbestand bestehender Preisunterschiede zwischen den Mitgliedsstaaten zu fördern.

Konkret hat der EuGH entschieden, dass unter den folgenden Voraussetzungen eine solche Gefahr der Marktabschottung regelmäßig anzunehmen ist:

  • Die Markeninhaberin betreibt ein selektives Vertriebssystem.
  • Die Markenprodukte weisen keine Kennzeichen auf, die es Dritten ermöglichen, den Markt zu bestimmen, auf dem sie vertrieben werden sollen. Die Markeninhaberin stellt auch sonst keine Möglichkeit zur Verfügung, die Verkehrsfähigkeit der Ware im EWR zu überprüfen
  • Das Handelsunternehmen, das sich auf Erschöpfung beruft, hat die Markenware im EWR erworben.
  • Der Vorlieferant hat die Verkehrsfähigkeit der Markenware im EWR bestätigt.

In einem solchen Fall ist es laut EuGH für den Parallelhändler derart schwierig bzw. sogar unmöglich, die Erschöpfung zu beweisen, dass die Beweislast zum Schutz der Grundfreiheiten des Binnenmarkts umgekehrt und der Markeninhaberin auferlegt werden muss.

 

3. Was war für den OGH im konkreten Fall ausschlaggebend?

Der OGH hat – anders als die Vorinstanzen – die Beweislast für den Ort des erstmaligen Inverkehrbringens dem Markeninhaber auferlegt. Da dieser aber nicht beweisen konnte, dass die Markenparfums in den VAE und damit außerhalb des EWR in Verkehr gebracht wurden – sein Tracking-Code-System war dafür schon nach den Erkenntnissen der Vorinstanzen nicht geeignet – führte dies zur Klageabweisung. Die Drogeriekette gewann den Prozess.

Der OGH hat dabei die Beweislast wie folgt abgestuft:

  1. Zuerst muss die Beklagte – zusätzlich zu den oben unter 2. zusammengefassten Voraussetzungen – die Gefahr einer Abschottung der Märkte beweisen.
  2. Gelingt dies, wechselt die Beweislast in Bezug auf die Erschöpfung des Markenrechts zur Markeninhaberin: Diese muss dann im zweiten Schritt beweisen, dass die Ware tatsächlich erstmals außerhalb des EWR in Verkehr gebracht wurde.

Der OGH hielt den Beweis für die erste Stufe – die Gefahr der Marktabschottung – für erbracht:

  • Dass die Markeninhaberin ein selektives Vertriebssystem betreibt, war unstreitig.
  • Der Tracking-Code auf der Verpackung ist keine Kennzeichnung des Bestimmungsmarktes, weil außer der Markeninhaberin selbst niemand daraus das Bestimmungsland ermitteln kann. Zudem hatte die Markeninhaberin auf ein Schreiben der Drogeriekette mit der Frage, ob bestimmte Produkte im EWR verkehrsfähig sind, explizit jede Auskunft dazu verweigert.
  • Die Lieferanten der Drogeriekette hatten ihrerseits ihren Sitz in der EU, d.h. die Drogeriekette hatte die Waren im EWR erworben.
  • Die Lieferanten waren nicht bereit, ihre Bezugsquellen offenzulegen. Sie boten lediglich an, dass ein zur Verschwiegenheit verpflichteter Gerichtssachverständiger deren Geschäftsbücher zu den Bezugswegen prüfen könne, um zu bestätigen, dass die Ware aus dem EWR stamme (ohne die Quelle dabei offenzulegen); das genügte der Markeninhaberin aber nicht.

Abschließend führte der OGH aus, dass die Gefahr einer Marktabschottung zwar nach dem EuGH bei Vorliegen der unter 2. genannten Voraussetzungen indiziert sei. Allerdings habe die Drogeriekette im Prozess sogar darlegen und nachweisen können, dass tatsächlich bei mindestens zwei Vertragshändlern im EWR erhebliche Preisunterschiede bestanden, was der OGH als weiteres Indiz für eine bestehende Marktabschottung durch die Markeninhaberin wertete.

 

4. Was folgt daraus für die Zukunft?

Am Ende des Urteilsberichts über das „Hewlett-Packard“-Urteil hatte ich noch geschrieben: „Es darf mit Spannung erwartet werden, wie die nationalen Gerichte die Entscheidung des EuGH umsetzen werden.“ Nun haben wir mit dem Urteil des OGH eine solche Umsetzung – und sie zeigt eindrucksvoll die schon im „Hewlett Packard“-Urteilsbericht vermutete Tragweite der EuGH-Entscheidung:

Wenn Parallelhändler und ihre Handelskunden im EWR ansässig sind, die Markenware aus dem EWR beziehen und die Lieferanten versichern, dass es sich um im EWR verkehrsfähige Ware handelt, dürfte künftig die Beweislastumkehr eingreifen. Denn die weiteren Voraussetzungen – ein selektives Vertriebssystem der Markeninhaberin, eine fehlende Kennzeichnung des Bestimmungsmarktes und die Verweigerung von Auskünften über den Bestimmungsmarkt – dürften regelmäßig vorliegen.

Trotzdem empfiehlt es sich aus Sicht des Parallelhandels – und auch das lehrt das OGH-Urteil – weitere Indizien für eine Marktabschottung wie z.B. unterschiedliche Preisniveaus bei den Vertragshändlern in den EU-Mitgliedsstaaten oder auch Schwierigkeiten von Verbrauchern, bei Vertragshändlern in anderen Mitgliedsstaaten zu bestellen, zu recherchieren und zu dokumentieren. Im vorliegenden Fall könnte diese Recherchearbeit eine entscheidende Rolle gespielt haben; zumindest klingt dies im Urteil an.

Markeninhaber können auf die Rechtsprechungsänderung mit einem absolut beweissicheren Tracking-Code-System reagieren, um nach erfolgter Beweislastumkehr den außereuropäischen Ursprung der Waren zu beweisen – was aber angesichts des rein unternehmensinternen Charakters der Datenerhebung und -verarbeitung schon aufgrund der fehlenden objektiven Überprüfbarkeit schwierig ist. Alternativ kann EWR-Ware als solche gekennzeichnet werden oder eine externe Überprüfungsmöglichkeit des Bestimmungslandes über den Tracking-Code zur Verfügung gestellt werden – beides würde nach aktuellem Stand der Rechtsprechung die Voraussetzungen der Beweislastumkehr entfallen lassen. Findet sich dann tatsächlich ein Nicht-EWR-Produkt im Regal eines Händlers, würde wieder die „alte“ Beweislastregel gelten.

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