Der österreichische Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat das österreichische Medienprivileg in einem aktuellen Urteil für verfassungswidrig erklärt. Doch was bezweckt das Medienprivileg und was bedeutet die österreichische Entscheidung für die Rechtslage in Deutschland?
Das Medienprivileg als Ausgleich zwischen Pressefreiheit und Datenschutz
Insbesondere im Rahmen investigativer Recherchen sind Journalistinnen und Journalisten oftmals darauf angewiesen, (sensible) personenbezogene Daten zu erheben und zu verarbeiten. Bei uneingeschränkter Anwendbarkeit der DSGVO, die eine Verarbeitung personenbezogener Daten nur unter strengen Voraussetzungen – z. B. bei Vorliegen der Einwilligung des Betroffenen – erlaubt, könnten Betroffene eine kritische Berichterstattung daher oftmals unter dem Deckmantel des Datenschutzrechts unterbinden. Um dies zu verhindern, wurde das sog. Medienprivileg geschaffen. Es soll Pressefreiheit und Datenschutz zum Ausgleich bringen und gewährt daher bestimmte Ausnahmen vom Datenschutzrecht bei der Verarbeitung zu journalistischen Zwecken. In dem Zusammenhang erlaubt Art. 85 DSGVO den Mitgliedsstaaten, bestimmte Abweichungen oder Ausnahmen von den Regelungen der DSGVO vorsehen.
Die Entscheidung des österreichischen VfGH zum österreichischen Medienprivileg
Nach der angegriffenen Regelung des § 9 Abs. 1 des österreichischen Datenschutzgesetzes (DSG) gelten für Datenverarbeitungen zu journalistischen Zwecken durch bestimmte Medienakteure nur wenige datenschutzrechtliche Vorschriften. Die Anwendbarkeit des DSG ist dabei komplett ausgeschlossen. In Bezug auf die DSGVO finden neben den allgemeinen Bestimmungen zu Anwendungsbereich und Definitionen lediglich die Vorschriften zu Rechtsbehelfen, Haftung und Sanktionen Anwendung. Die wesentlichen materiell-rechtlichen Grundsätze des Datenschutzes hingegen, so wie u.a. der Grundsatz der Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung, die Gewährleistung von Betroffenenrechten, wie z. B. Informations- und Auskunftsrechten, sowie die Pflichten der Verantwortlichen und Auftragsdatenverarbeiter auf technischen Datenschutz sind nicht anwendbar. Im Ergebnis stellt dies eine fast vollständige Ausnahme von Datenverarbeitungen durch Medienunternehmen zu journalistischen Zwecken von Datenschutzgesetzen dar.
Nach Ansicht des VfGH ist das Medienprivileg im Datenschutz entsprechend Art. 85 Abs. 2 DSGVO nötig, da sonst ein nicht auflösbarer Konflikt journalistischer Arbeit mit dem Datenschutz besteht. Das Gericht betont jedoch, dass jeder (gesetzliche) Eingriff in das Grundrecht auf Datenschutz „notwendig“ sein muss und insoweit eine Abwägung zwischen Interessen der Betroffenen am Datenschutz und der Meinungs- und Informationsfreiheit der Medien stattzufinden hat. Art. 85 Abs. 2 DSGVO spricht hier von „Abweichungen und Ausnahmen“, die die Mitgliedsstaaten im Sinne eines Medienprivilegs vorsehen können, wenn dies „erforderlich“ ist, um Pressefreiheit und Datenschutz in Einklang zu bringen. Der VfGH führt unter Verweis auf die Rechtsprechung des EuGH aus, dass Ausnahmen und Einschränkungen in Bezug auf den Datenschutz sich auf das absolut Notwendigste zu beschränken haben.
Dies sei bei der quasi vollständigen Ausnahme der medialen Datenverarbeitungen aus dem Datenschutz, ohne zusätzliche Anforderungen an ordnungsgemäße Datenverarbeitung oder -sicherung, nicht verfassungsgemäß umgesetzt. § 9 DSG halte den vom Gericht dargestellten Anforderungen als pauschaler und undifferenzierter Ausschluss aller wesentlichen Datenschutzbestimmungen für Medien nach Ansicht des VfGH nicht stand. Die Ausnahmen vom Datenschutz für die Meinungs- und Informationsfreiheit der Medien seien auf die Bestimmungen zu begrenzen, die mit den Besonderheiten der Ausübung journalistischer Tätigkeit nicht vereinbar sind. Die pauschale Ausnahme der einschlägigen journalistischen Tätigkeit von datenschutzrechtlichen Anforderungen sei keine der Abwägung zwischen Datenschutz und Meinungs- und Informationsfreiheit genügende Umsetzung des in Art. 85 Abs. 2 DSGVO angelegten Medienprivilegs.
Neben der Verpflichtung des österreichischen Gesetzgebers zu einer Neuregelung bis Mitte 2024 schlägt der VfGH vor, als Ausgleich zum Privileg den Medienschaffenden erhöhte Anforderungen an interne Organisation, Dokumentation und technische Sicherung aufzuerlegen.
Das deutsche Medienprivileg – ein gerechter Ausgleich?
In Deutschland ist das Pendant zum österreichischen Medienprivileg insbesondere in § 12 und § 23 des Medienstaatsvertrages (MStV) geregelt. Darüber hinaus enthalten die jeweiligen Landespressegesetze entsprechende Regelungen.
Die Regelungen des MStV verpflichten Journalistinnen und Journalisten zur Einhaltung des Datengeheimnisses, wonach personenbezogene Daten nicht zu anderen als journalistischen Zwecken verarbetiet werden dürfen. Ansonsten gilt insbesondere der Grundsatz der Vertraulichkeit und Integrität zur Gewährleistung der Datensicherheit. In diesem Zusammenhang müssen die Verantwortlichen geeignete technische und organisatorische Maßnahmen zum Schutz personenbezogener Daten, z. B. vor unbefugter oder unrechtmäßiger Verarbeitung, treffen. Der Sicherheit der personenbezogenen Daten wird dabei eine große Bedeutung zugemessen. Die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen durch Betroffene sowie die mögliche Verhängung von Geldbußen (Art. 82, 83 DSGVO) werden auf Verletzung des Datengeheimnisses und der vorgenannten Grundsätze begrenzt.
Insoweit sind die deutsche Regelungen des MStV zum Medienprivileg wesentlich differenzierter als die bisherige österreichische Regelung. Das deutsche Medienprivileg statuiert u.a. Anforderungen an Datensicherheit und Datenintegrität. Zudem sieht es unter bestimmten Voraussetzungen einen besonderen Auskunftsanspruch vor.
Die Regelungen lassen erkennen, dass eine Abwägung zwischen Datenschutz und Meinungs- bzw. Informationsfreiheit stattgefunden hat. Angesichts der überragenden Bedeutung der Letzteren bedarf es erheblicher Einschränkungen im Datenschutz, diesem wird jedoch angesichts der hohen technischen Anforderungen und der Betonung des Datengeheimnisses Genüge getan. Denn mit diesen Anforderungen an die journalistische Tätigkeit wird sichergestellt, dass die Medien ihren verfassungsmäßigen Auftrag effektiv wahrnehmen können und der Bürger dennoch aufgrund von Zweckbindung (Datengeheimnis) und hohen Anforderungen an die Datensicherheit vor der Gefahr des Kontrollverlusts über seine Daten geschützt ist. Das „Grundrecht auf Datenschutz“ wird insoweit nicht ausgehebelt, sondern im Lichte der Meinungs- und Informationsfreiheit auf das notwendige Minimum im Sinne des Art. 85 Abs. 2 DSGVO beschränkt.
Zu einem vergleichbaren Ergebnis kam im Juli 2021 auch das Landgericht Dresden (3 O 1965/20). Wir haben diesen Rechtsstreit u.a. über Rechtsfolgen und Umfang des datenschutzrechtlichen Medienprivilegs geführt und unsere Mandantin, ein überregionales Medienportal, erfolgreich gegen einen zivilrechtlichen Anspruch auf Schmerzensgeld verteidigt. Das Gericht betonte die Verpflichtung und den weiten Spielraum der Mitgliedstaaten, zur bzw. bei Umsetzung der Vorgaben des Art. 85 Abs. 2 DSGVO zum Schutze der Meinungs- und Informationsfreiheit. Das Landgericht Dresden bestätigte, dass das Medienprivileg Ergebnis einer rechtskonformen Abwägung im Sinne des Art. 85 Abs. 1 DSGVO darstellt.
Es ist daher davon auszugehen, dass die deutsche Regelung des Medienstaatsvertrags zum Medienprivileg verfassungskonform ist.