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11.04.2023

Kampfansage gegen Greenwashing? Der Vorschlag für die europäische Green Claims Richtlinie im Überblick

Am 22.3.2023 hat die EU-Kommission den lang erwarteten Vorschlag für eine „Green Claims Richtlinie“ vorgestellt. Diese ergänzt die bereits im vergangenen Jahr vorgestellte „Richtlinie zur Stärkung der Verbraucher für den ökologischen Wandel“ und hat zum Ziel, Greenwashing in der Werbung zu bekämpfen.

In Studien hatte die EU-Kommission festgestellt, dass 53 % der überprüften Green Claims vage, irreführend oder unfundiert waren. Laut Virginijus Sinkevičius, dem EU-Kommissar für Umwelt, soll der Richtlinienvorschlag dazu beitragen, dass Verbraucherinnen und Verbraucher fundierte Kaufentscheidungen treffen und Unternehmen, die echte Umweltanstrengungen unternehmen, belohnt werden.

Auch wenn es noch einige Jahre dauern wird, bis die neuen Regelungen gelten, ist schon jetzt klar: Für Unternehmen werden sich die Bedingungen für grüne Werbung künftig massiv verschärfen. Insbesondere das vorherige Zertfizierungserfordernis für grüne Werbeaussagen ist ein Novum im Wettbewerbsrecht und wird umweltbezogene Werbung in Zukunft deutlich aufwändiger und kostspieliger machen.

Wir beantworten die wichtigsten Fragen für Unternehmen:

1) Was sind Green Claims?
Green Claims – grüne Werbeaussagen – sind alle werblichen Aussagen in Zusammenhang mit Umwelt und Nachhaltigkeit – sowohl in Bezug auf Produkte und Dienstleistungen als auch auf Unternehmen selbst. Dazu gehören zum Beispiel Claims wie #klimaneutral, #CO2-reduziert, #recycelbar, #ozeanfreundlich oder #bienenfreundlich. Die Green Claims Richtlinie betrifft ausdrückliche grüne Werbeaussagen in Textform oder Nachhaltigkeitssiegeln. Das können neben konkreten Werbeclaims auch Produkt- oder Markennamen mit grünem Anstrich sein. Nicht betroffen sind hingegen naturbezogene Bilder oder Farben ohne Textaussage.  

2) Was ändert sich durch die Green Claims Richtlinie für werbende Unternehmen?
Bisher war die Werbung mit grünen Umweltaussagen nur über das allgemeine Irreführungsverbot im Gesetz gegen den Unlauteren Wettbewerb (UWG) geregelt. Künftig werden für grüne Werbeaussagen deutlich strengere Anforderungen gelten. Wichtigste Änderung ist, dass alle grünen Werbeclaims künftig vorab bei einer unabhängigen Prüfstelle zertifiziert werden müssen. Das ist einmalig im Wettbewerbsrecht und geht auch deutlich weiter als die Regelungen für gesundheitsbezogene Werbung in der Health Claims Verordnung. Ein vergleichbares Zertifizierungserfordernis gibt es beispielsweise bei der CE-Kennzeichnung bestimmter sicherheitsrelevanter Produkte oder der Einführung von Medizinprodukten in den Binnenmarkt, wo ein Konformitätsbewertungsverfahren bei einer Benannten Stelle durchlaufen werden muss.

3) Für wen gilt die Green Claims Richtlinie?
Die neue Richtlinie wird für alle Unternehmen gelten, die in der EU mit grünen Werbeaussagen werben oder Ökolabel nutzen. Ausgenommen sind lediglich Kleinstbetriebe mit weniger als 10 Beschäftigten und unter zwei Millionen Euro Jahresumsatz. Die Kleinstbetriebe sind aber natürlich weiterhin an das allgemeine Irreführungsverbot des UWG gebunden. Für kleinere und mittlere Unternehmen will die EU technische, organisatorische und finanzielle Unterstützung bei der Umsetzung der neuen Regelungen bereitstellen.

4) Welche Pläne hat die EU-Kommission für ausdrückliche grüne Werbeaussagen?
Umweltbezogene Werbeclaims dürfen künftig nicht mehr ohne vorherige Überprüfung durch eine unabhängige Prüfstelle veröffentlicht werden. Hierfür müssen Unternehmen auf Basis allgemein anerkannter wissenschaftlicher Nachweise belegen, dass der Claim auf das Produkt bzw. Unternehmen zutrifft. Zudem sollen Umweltaussagen, bei denen die gesamten Umweltwirkungen eines Produkts in Bezug auf Faktoren wie biologische Vielfalt, Klima oder Wasserverbrauch bewertet werden, regelmäßig unzulässig sein.

5) Was sind die Voraussetzungen für eine Zertifizierung grüner Werbeclaims?
Der Richtlinienvorschlag stellt eine Reihe von Anforderungen an die Substantiierung von Green Claims. Basis jeder Überprüfung müssen wissenschaftliche Nachweise sein. Überprüft werden soll u.a., ob sich der Claim auf das ganze Produkt oder nur auf einzelne Bestandteile bezieht. Zudem müssen Unternehmen aufzeigen, inwiefern ihr Produkt aus Umweltsicht signifikant besser performt als vergleichbare Produkte. Wichtig sind dabei auch Aspekte wie der Lebenszyklus von Produkten (von den Rohstoffen bis zum Lebensende) oder mögliche Zielkonflikte bei anderen Umweltauswirkungen. Die Prüfstelle erstellt nach abgeschlossener Prüfung ein Zertifikat, das dann EU-weit gelten wird.

6) Wo bekommen Unternehmen diese Zertifizierung und wie viel wird das kosten?
Welche Prüfstellen in Deutschland für die Zertifizierung zuständig sein werden, ist noch nicht bekannt. Grundsätzlich muss es sich um unabhängige Prüfstellen handeln, die vom jeweiligen Mitgliedstaat entsprechend autorisiert sind. Für Medizinprodukte sind das in Deutschland die sog. Benannten Stellen, insbesondere der TÜV. Für die Zertifizierung rechnet die EU-Kommission je Claim mit Kosten von 500 Euro (für einfache Claims wie „recycelbar“), 8.000 Euro (für komplizierte Produkt-Claims) bis hin zu 54.000 Euro (für unternehmensbezogene Claims). Hinzu kommen unternehmensinterne Kosten für wissenschaftliche Studien etc.


7) Wie müssen grüne Werbeaussagen künftig kommuniziert werden?
Hier legt die Richtlinien besonderen Wert auf umfassende Aufklärung: Ausführliche Informationen, wissenschaftliche Belege und das Zertifikat der Prüfstelle müssen zusammen mit dem Claim zur Verfügung gestellt werden, entweder physisch auf dem Produkt oder mittels angebrachtem Link bzw. QR-Code. Es dürfte also zur Sternstunde des Sternchenhinweises kommen.

8) Gelten für den Claim #klimaneutral Besonderheiten?
Ein besonderer Dorn im Auge der EU-Kommission scheint der Claim #klimaneutral zu sein. Diese Aussage sei erfahrungsgemäß häufig unklar und missverständlich. Auch in Deutschland steht der Claim #klimaneutral im Fokus der Rechtsprechung, hierzu laufen aktuell zahlreiche Gerichtsverfahren. Der Richtlinienvorschlag enthält nun einige Sonderregelungen für die Werbung mit Klimaneutralität. Unter anderem sollen Unternehmen darüber aufklären, inwiefern sie selbst CO2-Emissionen reduzieren und inwiefern sie „nur“ kompensieren. Außerdem werden Anforderungen bezüglich der Korrektheit von Kompensationen und ihrer Anrechnung eingeführt.

9) Vergleichende grüne Werbung – geht das künftig noch?
Auch zu Produkt- bzw. Anbietervergleichen in Bezug auf Umweltauswirkungen enthält der Richtlinienvorschlag Regelungen. Vergleiche müssen fair sein und auf einer gleichwertigen Datengrundlage beruhen.

10) Was ändert sich in Zusammenhang mit Nachhaltigkeitssiegeln und Ökolabels?
Mehr als 230 verschiedene Umweltlabel existieren in der EU, etwa die Hälfte davon laut EU-Kommission mit unzureichenden oder gänzlich fehlenden Verifizierungsmechanismen. Daher dürfen öffentliche Siegel künftig nur noch auf EU-Ebene entwickelt werden. Neue private Systeme sind nur zulässig, wenn mit dem Siegel ehrgeizigere Umweltziele als mit bisherigen Labeln verfolgt werden und wenn sie vorab von einer entsprechenden Stelle genehmigt wurden. Zudem müssen alle Umweltzeichen transparent sein und regelmäßig von Dritten überprüft und kontrolliert werden. Außerdem stellt der Richtlinienvorschlag eine Reihe von Anforderungen an die Zertifizierungsmechanismen von Nachhaltigkeitssiegeln (u.a. zugängliche Informationen, wissenschaftliche Grundlagen und die Existenz von Beschwerdemechanismen).

11) Was droht bei Nichtbeachtung der geplanten Regelungen?
Bei Verstößen kommt es zu den üblichen Konsequenzen im Wettbewerbsrecht: Mitbewerber und Verbände wie die Wettbewerbszentrale können abmahnen und Unterlassung fordern; Mitbewerber daneben auch Schadensersatz. Neu ist, dass bei Verstößen gegen die neuen Umweltregelungen auch ein Bußgeld in Höhe von bis zu 4 % des Jahresumsatzes eines Unternehmens verhängt werden kann. Und auch die neue Verbandsklagemöglichkeit für Verbraucherorganisationen dürfte künftig eine stärker Rolle spielen.

12) Ab wann muss die Green Claims Richtlinie beachtet werden?
Die gute Nachricht: Bisher handelt es sich nur um einen Richtlinienvorschlag. Bis die neuen Regelungen gelten, wird es also noch etwas dauern. Der Richtlinienvorschlag durchläuft jetzt den normalen Gesetzgebungsprozess auf EU-Ebene und muss von Rat und EU-Parlament abgesegnet werden. Anpassungen oder Abmilderungen sind also grundsätzlich noch möglich, wobei das EU-Parlament bei Klimaschutzmaßnahmen erfahrungsgemäß oft durchwinkt. Dieser Prozess dürfte etwa ein Jahr in Anspruch nehmen. Anschließend haben die Mitgliedsstaaten zwei Jahre Zeit, die Richtlinie in nationales Recht umzusetzen. Vor Anfang 2026 ist also nicht damit zu rechnen, dass die neuen Regelungen gelten.

13) Was gilt neben der Green Claims Richtlinie noch bei grüner Werbung?
Die Green Claims Richtlinie ist Teil eines großen Maßnahmenpakets der EU, um Greenwashing stärker zu bekämpfen (in Zusammenhang mit dem sog. Green Deal). Im März 2022 hat die EU-Kommission schon die geplante Richtlinie zur Stärkung der Verbraucher für den ökologischen Wandel vorgestellt. Diese soll die bestehende UGP-Richtlinie erweitern und betrifft insbesondere allgemeine Umweltaussagen wie #umweltfreundlich, #grün oder #ökologisch. Umweltauswirkungen werden als allgemeiner neuer Irreführungsaspekt ergänzt. Zudem wird diese Richtlinie die sog. Schwarze Liste um weitere Geschäftspraktiken ergänzen. Per se verboten sind daher künftig u.a.:
Nutzung von Nachhaltigkeitslabeln, die nicht auf einem Zertifizierungsstandard beruhen oder von öffentlichen Behörden implementiert sind Allgemeine Umweltaussagen, wenn ein Unternehmen keine hervorragende Umweltwirkung seines Produkts/Unternehmens nachweisen kann Umweltaussagen in Bezug auf das gesamte Produkt, obwohl nur ein Teilaspekt betroffen ist

14) Kann man denn künftig überhaupt noch mit grünen Claims werben?
Die DIHK spricht in einer ersten Stellungnahme zu dem Richtlinienvorschlag bereits von einer Überregulierung. Kritisiert wird, dass sich insbesondere kleine und mittlere Unternehmen grüne Werbung künftig nicht mehr leisten können würden, weil die Zertifizierungskosten zu hoch seien. Und in der Tat: Die vorherige Zertifizierung von Werbeaussagen ist ein echtes Novum im europäischen Lauterkeitsrecht. Für werbende Unternehmen entfällt zwar die aktuell herrschende Rechtsunsicherheit aufgrund divergierender Rechtsprechung zu einzelnen Claims. Die Compliance-Kosten dürften aber trotzdem steigen. Insgesamt besteht durchaus die Gefahr, dass die neue Richtlinie nicht nur dem Greenwashing den Garaus macht, sondern auch grüner Werbung insgesamt.

15) Wie können sich Unternehmen jetzt schon vorbereiten?
Auch wenn es noch etwas dauert, bis der Richtlinienvorschlag geltendes Recht wird, können sich Unternehmen jetzt schon wappnen. Denn auch aktuell gilt: Aufklärung ist key! Grüne Werbeclaims wie #klimaneutral sollten mit Sternchenhinweisen oder Links auf Informationswebseiten ausführlich erläutert werden. Das reduziert das Abmahnungsrisiko deutlich. Und natürlich müssten Unternehmen im Falle des Falles auch jetzt schon mit wissenschaftlichen Studien, Marktvergleichen etc. belegen können, dass ihr Claim tatsächlich zutrifft. Eine gute Vorbereitung hier dürfte die Zertifizierung künftig erleichtern.

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