Die Abgrenzung zwischen einer selbstständigen Tätigkeit und einer abhängigen Beschäftigung sowie die mit einer möglichen Scheinselbstständigkeit einhergehenden Risiken bereiten den Beteiligten seit jeher Schwierigkeiten.
Nun sah sich der Gesetzgeber infolge der sog. „Herrenberg-Entscheidung“ des Bundessozialgerichts (BSG) veranlasst, mit Wirkung zum 1. März 2025 eine neue Übergangsregelung in das Sozialgesetzbuch (SGB) IV aufzunehmen, damit Bildungseinrichtungen Lehrkräfte bis Ende 2026 rechtssicher als freie Mitarbeiter einsetzen können.
Hintergrund
Im Rahmen der „Herrenberg-Entscheidung“ (BSG, Urt. v. 28. Juni 2022 – B 12 R 3/20 R) wandte das BSG die bereits bekannten, von der Rechtsprechung herausgearbeiteten Kriterien zur Abgrenzung einer selbstständigen Tätigkeit von einer abhängigen Beschäftigung deutlich strenger an als zuvor. Dabei ging das BSG davon aus, dass eine abhängige Beschäftigung bereits dann vorliegt, wenn durch die Auftraggeberin u.a. Arbeitsmittel und Räumlichkeiten bereitgestellt würden. Dies sollte auch dann gelten, wenn im Übrigen ein hohes Maß an Weisungsfreiheit zwischen den Parteien des Auftragsverhältnisses gegeben sei. In der Folge passten die Spitzenorganisationen der Sozialversicherung und die Instanzgerichte ihre Prüfungsmaßstäbe im Rahmen der Statusbeurteilung an die strengeren Anforderungen des BSG an.
Nach der Entscheidung des BSG sahen sich u.a. Bildungseinrichtungen, die sich bei der Ausgestaltung der Lehrtätigkeit an den über die letzten Jahre entwickelten Maßstäben orientiert hatten, plötzlich mit existenzgefährdenden Nachforderungen von Sozialversicherungsbeiträgen konfrontiert.
Die Übergangsregelung des § 127 SGB IV (n.F.)
Die vom 1. März 2025 bis zum 31. Dezember 2026 geltende Übergangsregelung des § 127 SGB IV (n. F.) ermöglicht es Bildungseinrichtungen nunmehr, Lehrkräfte unter bestimmten Umständen rechtssicher auf Honorarbasis zu beschäftigen, selbst wenn die Tätigkeit eigentlich als abhängige Beschäftigung gelten und sie damit der Sozialversicherungspflicht unterliegen würde.
Seinen Entschluss, diese Übergangsregelung einzuführen, stützt der Gesetzgeber auf die gesamtgesellschaftlich herausragende Bedeutung des Bildungswesens (BT-Drs. 20/14744, S. 28 f.).
Damit der Einsatz von Honorarkräften im Bildungswesen rechtssicher gelingt, müssen gem. § 127 Abs. 1 SGB IV (n.F.)
- die Vertragsparteien beim Abschluss des Vertrages übereinstimmend von einer selbstständigen Tätigkeit ausgegangen sein und
- die Person, die die Lehrtätigkeit ausübt, muss zustimmen.
Liegen diese Voraussetzungen vor, entfällt bis Ende 2026 die Beitragspflicht in der Sozialversicherung.
Fehlt es an der erforderlichen Zustimmung der Lehrkraft, ist die Sozialversicherungspflicht, wie bisher, von der Statusbeurteilung – unter Anwendung des nunmehr strengeren Prüfungsmaßstabs – abhängig.
Fazit
Zwar entlastet die Übergangsregelung den Bildungsbereich finanziell in großem Maße und ermöglicht es den Bildungseinrichtungen und Lehrkräften, die Ausgestaltung ihrer Tätigkeits- bzw. Geschäftsmodelle während der Übergangszeit an die erhöhten Anforderungen des BSG, der Instanzgerichte sowie der Spitzenorganisationen der Sozialversicherung an das Vorliegen einer selbstständigen Tätigkeit anzupassen.
Der Gesetzgeber verkennt allerdings, dass nicht nur der Bildungsbereich von den Auswirkungen der „Herrenberg-Entscheidung“ betroffen ist. Das Urteil strahlt bereits jetzt auf andere Tätigkeitsbereiche aus und sorgt auch in diesen für ein hohes Maß an Rechtsunsicherheit und finanzielle Belastung durch hohe Nachforderungen von Sozialversicherungsbeiträgen.
Vor diesem Hintergrund stellt sich zwangsläufig die Frage, ob der Gesetzgeber durch einen derart eng gefassten Anwendungsbereich gegen den verfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG verstößt.
Allein der allgemein gehaltene Verweis auf die gesamtgesellschaftlich herausragende Bedeutung des Bildungsbereichs (BT-Drs. 20/14744, a.a.O.) dürfte wohl nicht als Rechtfertigungsgrund für eine Ungleichbehandlung genügen. Schließlich ist die gesamtgesellschaftlich herausragende Bedeutung kein Alleinstellungsmerkmal des Bildungsbereichs. Auch anderen Branchen – beispielsweise der Pflege, dem Baugewerbe sowie dem Transport- und Logistikbereich – kommt ebenfalls eine derartige Bedeutung zu. In Zeiten des demografischen Wandels, der Wohnungsknappheit und der immer weiter voranschreitenden Globalisierung wäre es töricht, diesen Bereichen eine mit dem Bildungsbereich vergleichbare gesamtgesellschaftlich herausragende Bedeutung abzusprechen.
Zuletzt ist fraglich, ob eine Übergangsregelung wie § 127 SGB IV (n.F.) – ob nun auf den Bildungsbereich beschränkt oder nicht – überhaupt die passende Antwort auf die Frage des Umgangs mit den Risiken einer Scheinselbstständigkeit ist oder, ob der Gesetzgeber nicht vielmehr eine dauerhafte Lösung für die Abgrenzung einer selbstständigen Tätigkeit von einer abhängigen Beschäftigung herbeiführen sollte.
Bis sich der Gesetzgeber dem Kernproblem der Scheinselbstständigkeit annimmt, bleibt den Betroffenen, die nicht zu den Bildungseinrichtungen zählen, nach wie vor nichts anderes übrig, als die Ausgestaltung ihrer Tätigkeits- bzw. Geschäftsmodelle schnellstmöglich so gut es geht, an den aktuellen, strengeren Prüfungsmaßstab des BSG, der Instanzgerichte und der Spitzenorganisationen der Sozialversicherung bei der Statusfeststellung anzupassen.