Knapp ein halbes Jahr nach der Vorlage des Eckpunktepapieres durch die Bundesregierung wird mit Spannung der erste Gesetzesentwurf zur Cannabislegalisierung in Deutschland erwartet. Dieser sollte laut Bundesgesundheitsminister Lauterbach bis Ende März 2023 vorliegen, lässt aber noch auf sich warten.
In diesem Beitrag informieren wir Sie über die aktuellen rechtlichen Hürden, die einer Legalisierung im Weg stehen können, und wie Deutschland damit umgehen könnte. Hauptstreitpunkt ist die (gewerbliche) Abgabe von Cannabis an Erwachsene in lizenzierten Fachgeschäften.
Die rechtlichen Rahmenbedingungen der Legalisierung in Deutschland stehen weitgehend fest. Vielfach wird jedoch das Unions- und Völkerrecht als möglicher „Showstopper“ für eine Legalisierung betrachtet.
Neue Gutachten vorgelegt
In die Vielzahl der Gutachten zum Thema Legalisierung in Deutschland reihten sich unlängst zwei im Ergebnis konträre neue wissenschaftliche Publikationen ein.
Am 01.03.2023 wurde vom bayerischen Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) ein Gutachten von Professor Bernhard Wegener, Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht und Europarecht an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, vorgestellt. Der Gutachter kommt zu dem Ergebnis, dass die von der Bundesregierung geplante Cannabis-Legalisierung in weiten Teilen völker- und europarechtlichen Vorgaben widerspricht. Auch ein weitreichender Verstoß gegen das einschlägige UN-Übereinkommen zur Drogenbekämpfung attestiert Wegener den Plänen der Bundesregierung. Das UN-Übereinkommen gestatte lediglich den Gebrauch von Cannabis zu wissenschaftlichen und medizinischen Zwecken in einem engen Sinne.
Eine gutachterliche Untersuchung der Universität Nijmegen (Niederlande) hält dagegen die Pläne der Bundesregierung für juristisch möglich. Die Professorin Masha Fedorova und ihr Kollege Professor Piet Hein van Kempen veröffentlichten Ihr Gutachten in der März-Ausgabe des European Journal of Crime, Criminal Law and Criminal Justice. Im Ergebnis wird darin die Einführung eines staatlich kontrollierten, nationalen Lizenzsystems für die Abgabe von Cannabis als Genussmittel unter engen Voraussetzungen europa- und völkerrechtlich für zulässig erachtet. Dem holländischen Gutachten kann entnommen werden, dass eine Legalisierung gerechtfertigt sei, wenn Deutschland „aufrichtig davon überzeugt ist und überzeugend argumentiert, dass es über dieses [Lizenzierungs-]System die individuelle und öffentliche Gesundheit, die Sicherheit der Öffentlichkeit und/oder die Verhinderung von Gewaltverbrechen wirksamer umsetzen kann, als [es] dies über den prohibitiven Ansatz für Cannabis für Genusszwecke zu erreichen vermag".
Reaktion des Bundesgesundheitsministeriums
Auch das Bundesgesundheitsministerium zeigte sich vom neuen CSU-Gutachten wenig beeindruckt und erklärte, dieses liefere „offenbar keine neuen Erkenntnisse. Bereits im Eckpunktepapier hatte die Bundesregierung im Herbst des vergangenen Jahres auf die engen völker- und europarechtlichen Risiken hingewiesen.“ Das Ziel einer Legalisierung von Cannabis sei nach wie vor, „den Jugend- und Gesundheitsschutz für Konsumenten zu verbessern sowie den Schwarzmarkt einzudämmen. Wir sind dazu auch weiter im Kontakt mit der EU-Kommission und werden europarechtlich konforme Lösungen vorlegen.“
Diese Lösungen werden mit Spannung erwartet, da es auf europa- und völkerrechtlicher Ebene einige Regelungen gibt, die einer Legalisierung und lizenzierten Abgabe entgegenstehen könnten. Im Überblick sind dies:
- Schengener Durchführungsabkommen (SDÜ)
Durch dieses Abkommen wird der grenzüberschreitende Personen- und Warenverkehr innerhalb des EU Binnenmarktes durch Abschaffung der Grenzkontrollen erleichtert. Das SDÜ enthält in den Art. 70 ff. Vorschriften über Betäubungsmittel. Beispielsweise verpflichtet Art. 71 Abs. 1 SDÜ die Mitgliedstaaten zwar nur, den unerlaubten Handel damit zu unterbinden. In Abs. 2 werden sie jedoch verpflichtet, vor dem Hintergrund der unerlaubten Ausfuhr, den Verkauf sowie die Verschaffung und Abgabe mit verwaltungs- und strafrechtlichen Mitteln zu unterbinden.
- EU Rahmenbeschluss 2004/757/JI (Strafrecht)
In Artikel 2 Abs. 1a und 1b werden hier für alle EU Mitgliedsstaaten Mindestanforderungen an die Strafbarkeit für „das Anbieten, Feilhalten, Verteilen, Verkaufen, Liefern – gleichviel zu welchen Bedingungen – […] und Vermitteln […] von Drogen“ und „das Anbauen […] der Cannabispflanze“ aufgestellt. Hier gilt jedoch die Tatbestandsbeschränkung „ohne entsprechende Berechtigung“.
- Völkerrecht
Neben Bedenken auf europäischer Ebene bestehen auch im Völkerrecht an mehreren Stellen Hürden für die Legalisierung. Die völkerrechtlichen Regelungen setzen sich aus drei Abkommen zusammen: dem UN Einheitsabkommen über Suchtstoffe, zu denen auch Cannabis gezählt wird, dem UN Übereinkommen über psychotrope Stoffe von 1971 und dem UN Übereinkommen gegen den unerlaubten Verkehr mit Suchtstoffen und psychotropen Stoffen von 1988. Da zumindest dem letzten nicht nur Deutschland selbst, sondern auch die EU beigetreten ist, bedarf es hier einiges an juristischer Spitzfindigkeit, um eine rechtlich haltbare Lösung zu finden. Unter anderem das Gutachten aus Nijmegen führt aber eine weite Auslegung als eine gangbare Handlungsalternative an. Der bereits als Lösungsansatz diskutierte Weg für Deutschland, aus den völkerrechtlichen Abkommen auszutreten und direkt unter einem Vorbehalt der Cannabislegalisierung wieder einzutreten, ist zumindest für das Übereinkommen von 1988 nicht zielführend. Neben Deutschland hat auch die EU selbst dieses Abkommen unterzeichnet, sodass Deutschland selbst bei einem Austritt aus dem Abkommen als EU-Mitgliedsstaat weiter gebunden bleibt.
Diese supranationalen Hürden hat die Bundesregierung, in enger Abstimmung mit der EU und bei einer weiten Auslegung der Regelungen und der damit verfolgten Ziele, zu überwinden. Der Ansatz der Bundesregierung zielt darauf ab, mit der Legalisierung dem Schutz von Jugend und Gesundheit sowie der Bekämpfung des Schwarzmarktes effektiver beizukommen als es die bisherigen prohibitionistischen Ansätze vermögen.
Neben den aufgezeigten rechtlichen Hürden müssen medizinische, kriminologische und soziologische Aspekte im Rahmen der Gesetzgebung abgewogen werden. Es bleibt also spannend zu sehen, ob und wie die Bundesregierung in ihrem bevorstehenden Gesetzesentwurf geeignete rechtliche Rahmenbedingungen für eine Legalisierung von Cannabis präsentieren wird, und ob diese vor den internationalen Regelungen Bestand haben werden.