Alle News & Events anzeigen
01.07.2024

VG Berlin zur Investitionsprüfung: Keine Verlängerung der Eröffnungsfrist und (echte) Anhörungspflicht

Investitionsprüfung im Außenwirtschaftsrecht: Die Frist zur Eröffnung des Prüfverfahrens ab Kenntnis des BMWK wird nicht durch einen Antrag auf Unbedenklichkeitsbescheinigung verlängert. Und: Anhörung ist nicht gleich Anhörung!

Eine Ende letzten Jahres ergangene und nun auch im Wortlaut veröffentlichte Entscheidung des Verwaltungsgerichts (VG) Berlin zu einem untersagten Erwerb eines deutschen Medizinprodukteherstellers durch ein chinesisches Unternehmen (VG Berlin, Urt. v. 15.11.2023 – VG 4 K 253/22) ist nicht nur für M&A-Experten interessant, sondern stellt möglicherweise auch die allgemeine Anhörungspraxis diverser Behörden in Frage.

Entscheidend für den vorliegenden Fall war die zeitliche Abfolge der Ereignisse. Das für Fragen der Investitionsprüfung zuständige Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) erfuhr am 14. April 2020 durch einen online verfügbaren Artikel von dem bereits erfolgten schuldrechtlichen Erwerb eines deutschen Medizinprodukteherstellers und nahm direkt telefonischen Kontakt zu dem Rechtsanwalt der chinesischen Erwerberin auf. Dieser nahm 16. April 2020 schriftlich dazu Stellung, weshalb die Transaktion unter investitionsrechtlichen Gesichtspunkten unproblematisch sei. Am 30. Juni 2020 beantragte die chinesische Erwerberin rein vorsorglich die Erteilung einer Unbedenklichkeitsbescheinigung gem. § 58 Abs.1 AWV. Am 18. August, also vier Monate und zwei Tage nachdem das BMWK spätestens durch die Stellungnahme des Rechtsanwalts der Erwerberin konkret von der Transaktion erfahren hatte, erließ das BMWK den Bescheid über die Eröffnung des sektorübergreifenden Investitionsprüfverfahrens gem. §§ 55 bis 59 AWV. Im darauffolgenden Jahr, im Mai 2021, fand eine Besprechung unter Beteiligung von Vertretern der chinesischen Erwerberin sowie diverser beteiligter Bundesministerien statt. Die Besprechung wurde nicht protokolliert. Gegenstand der Besprechung soll auch, aber nicht nur, die Möglichkeit einer Untersagung des Erwerbs gewesen sein. Im Nachgang zu dieser Besprechung führte das BMWK weitere umfangreiche Ermittlungen zu der Transaktion durch. Ein weiteres Jahr später, am 26. im April 2022, telefonierte ein Vertreter des BMWK mit einer Vertreterin der Erwerberin und kündigte die bevorstehende Untersagung des Erwerbs an. Am 27. April 2022 untersagte das BMWK die Transaktion. Hiergegen erhob die Erwerberin Klage vor dem Verwaltungsgericht.

Das VG Berlin stufte die Untersagung sowohl aus formellen, wie auch aus materiellen Gründen als rechtswidrig ein.

Formelle Rechtswidrigkeit – Unterbliebene Anhörung

Zunächst wurde die Erwerberin nicht ordnungsgemäß gem. § 28 Abs. 1 VwVfG vor der Untersagung angehört. Danach ist einem Beteiligten, in dessen Rechte durch einen Verwaltungsakt eingegriffen wird (hier: Untersagung des Erwerbs), vor dem Erlass des Verwaltungsakts die Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, möchte man meinen.

Der Besprechungstermin im Mai 2021 genügte den Anforderungen des § 28 Abs. 1 VwVfG jedoch nicht. Zwischen dem Besprechungstermin und der Untersagung des BMWK im April 2022 lag fast ein Jahr, in dem das BMWK zahlreiche weitere Tatsachen ermittelte die später Grundlage der Untersagung waren. Das BMWK hätte der Erwerberin die Möglichkeit einräumen müssen, zu der konkret beabsichtigten Entscheidung (Untersagung) sowie insbesondere zu den im Laufe des Verwaltungsverfahrens ermittelten Tatsachen und darauf basierenden Wertungen Stellung zu nehmen. Das Telefonat am 26. April 2022, in dem der Erwerberin nur der kurz bevorstehende Erlass der Untersagung angekündigt wurde, war ebenfalls nicht geeignet, den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Anhörung zu genügen. Der Anhörungsmangel ist im konkreten Fall auch nicht nach § 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 VwVfG – wie dies in der Praxis häufig der Fall ist – geheilt worden. Danach ist eine Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften, die den Verwaltungsakt nicht nach § 44 VwVfG nichtig macht, unbeachtlich, wenn die erforderliche Anhörung eines Beteiligten bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt wird.

„Die Beklagte [red. Anm.: das BMWK] hat sich während der Dauer des gerichtlichen Verfahrens darauf beschränkt, die von ihr getroffene Entscheidung zu verteidigen. Erst unmittelbar im Anschluss an die Erörterung eines möglichen Anhörungsmangels in der mündlichen Verhandlung äußerte sie, sie gebe der Klägerin ausdrücklich Gelegenheit, sich zu den entscheidungserheblichen Aspekten zu äußern. Damit hat sie jedoch nicht mit der notwendigen Deutlichkeit zu erkennen gegeben, dass sie die Argumente der Klägerin zur Kenntnis genommen, ernsthaft erwogen und zum Anlass genommen hat, die Untersagung kritisch zu überdenken. Zudem spricht schon das Unterbleiben einer innerministeriellen Abstimmung gegen eine inhaltliche Auseinandersetzung.“

Für eine Heilung des Anhörungsmangels im Laufe des gerichtlichen Verfahrens fehlte es dem VG Berlin also an einer ernsthaften, kritischen Auseinandersetzung mit den Argumenten der Erwerberin.

Materielle Rechtswidrigkeit – Fristablauf für Eröffnung des Prüfverfahrens

Die materielle Rechtswidrigkeit der Untersagung ergibt sich daraus, dass das BMWK das Investitionsprüfverfahren nicht binnen der Frist des § 55 Abs. 3 S. 1 AWV a.F. eröffnet hat. Nach § 55 Abs. 3 S. 1 AWV a. F. hat das BMWK die Eröffnung des Prüfverfahrens innerhalb von drei Monaten ab Kenntnis des Erwerbs bekanntzugeben (Achtung: Auf Grund des Zeitpunkts des Erwerbs hat das VG die §§ 55 ff. AWV in den zu diesem Zeitpunkt geltenden Fassungen angewendet. § 55 AVW sah seinerzeit eine 3-Monat-Frist zur Eröffnung des Prüfverfahrens vor. Die Eröffnungsfrist wurde inzwischen auf zwei Monate verkürzt!). Das BMWK hatte spätestens am 16. April 2020 durch die Stellungnahme des Rechtsanwalts der Erwerberin von der Transaktion erfahren, hierauf jedoch erst vier Monate später mit Bescheid vom 18. August 2020 das Prüfverfahren eingeleitet. Das BMWK argumentierte, dass die Eröffnungsfrist des § 55 Abs. 3 S. 1 AWV a.F. durch den höchstvorsorglichen Antrag auf Erteilung einer Unbedenklichkeitsbescheinigung am 30. Juni 2020 verlängert worden sei. Denn nach § 58 Abs. 2 AWV gilt die Unbedenklichkeitsbescheinigung als erteilt, wenn das BMWK nicht innerhalb von zwei Monaten nach Eingang des Antrags auf Erteilung einer Unbedenklichkeitsbescheinigung das Prüfverfahren eröffnet. Somit wurde nach Auffassung des BMWK die damals geltende Drei-Monats-Frist zur Eröffnung des Prüfverfahrens durch den Antrag auf Erteilung einer Unbedenklichkeitsbescheinigung um zwei Monate verlängert und habe erst am 30. August 2020 geendet.

Dieser Auffassung folgt das VG Berlin ausdrücklich nicht. Die durch die Kenntnis des BMWK in Gang gesetzte Frist wurde durch den Antrag auf Erteilung der Unbedenklichkeitsbescheinigung weder verdrängt (für eine solche Wirkung sieht das Gesetz schlicht keine Rechtsgrundlage vor), noch zu Lasten der Erwerberin verlängert.

„Dass es gesetzlicher Zweck eines Antrags auf Erteilung einer Unbedenklichkeitsbescheinigung [ist], Fristen zu Gunsten der Unternehmen zu verkürzen und nicht zu verlängern, zeigt sich auch daran, dass diese es in der Hand haben, dem Bundesministerium durch Übermittlung von Informationen über den Erwerb Kenntnis im Sinne des § 55 Abs. 3 S. 1 AWV zu verschaffen und so den Beginn der dreimonatigen Frist auszulösen. Wenn die unmittelbare Erwerberin sich demgegenüber entscheidet, dem Bundesministerium mittels eines vollständigen Antrags auf Erteilung einer Unbedenklichkeitsbescheinigung deutlich mehr Informationen zur Verfügung zu stellen, kann sie die im Grundsatz kürzere Frist von zwei Monaten nach § 58 Abs. 2 AWV in Gang setzen. Auch ein – wie vorliegend – recht kurz vor Ablauf der Frist nach § 55 Abs. 3 S. 1 AWV gestellter Antrag auf Erteilung einer Unbedenklichkeitsbescheinigung kann aus Sicht der Unternehmen praktische Vorteile bieten. Denn es liegt nahe, dass er in der Praxis dazu führen kann, dass das Bundesministerium eine Unbedenklichkeitsbescheinigung – also ein behördliches Dokument – ausstellt, wenn es nicht binnen der Frist des § 55 Abs. 3 S. 1 AWV ein Prüfverfahren eröffnet.“

Diese Entscheidung des VG Berlin dürfte für viele Unternehmen interessant sein, die vor der Entscheidung stehen, ob bzw. wann sie einen Antrag auf Erteilung einer Unbedenklichkeitsbescheinigung gem. § 58 AWV stellen sollten. So kann es durchaus sinnvoll sein, durch frühzeitige Information an das BMWK den Stein ins Rollen zu bringen und die kurze Prüffrist auszulösen.

Doch auch über das spezielle Gebiet der Außenwirtschaftskontrolle hinaus, kann auch in der alltäglichen Auseinandersetzung mit Behörden diese Entscheidung die Stellung eines Adressaten eines Verwaltungsaktes stärken.  Das Anhörungserfordernis des § 28 Abs. 1 VwVfG wird erfahrungsgemäß bei nicht wenigen Behörden eher lässig, wenn nicht häufig mit inhaltsleeren Floskeln als bloße Formalie gehandhabt. Das VG Berlin hat erfreulich grundlegend und lehrbuchtauglich deutlich gemacht, dass eine Heilung der unterbliebenen Anhörung nur dann in Betracht kommt, wenn die Behörde das Vorbringen der Betroffenen zum Anlass nimmt, um die eigene Entscheidung noch einmal kritisch zu überdenken und ggf. in Folge auch abzuändern. Es dürfte sich für Praktiker lohnen, diese Entscheidung im Hinterkopf zu behalten.

    Teilen

  • LinkedIn
  • XING