In der Praxis zählt die Ausgestaltung der Losvergabe zu den häufigsten vergaberechtlichen Problemen. Die VK Nordbayern hat mit ihrem kürzlich ergangenen Beschluss vom 23.03.2023 die Bedeutung der Losaufteilung insbesondere für mittelständische Unternehmen nochmals hervorgehoben. Im konkreten Fall stellt sie zugleich die hohen Hürden einer Gesamtvergabe heraus. So entschied sie im KHZG-Kontext, dass die Gesamtvergabe von digitalem Aufnahme-, Behandlungs- und Entlassmanagement gegen das Gebot der Losaufteilung aus § 97 Abs. 4 S. 2 GWB verstoße. Das Entlassmanagement hätte separat ausgeschrieben werden müssen.
1. Sachverhalt
Ein öffentliches Krankenhaus schrieb die Beschaffung und Implementierung eines Patientenportalsystems europaweit aus. Als Verfahrensart wählte es das Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb. Ziel war die Implementierung eines Portals für ein digitales Aufnahme-, Behandlungs- sowie Entlassungsmanagement, das im Rahmen des Fördertatbestands 2 (Patientenportale) des Krankenhauszukunftsgesetzes (KHZG) gefördert werden sollte. Eine Losaufteilung erfolgte nicht.
Es gingen insgesamt zehn Teilnahmeanträge ein. Die Antragstellerin war in fünf Teilnahmeanträgen als Nachunternehmerin für das Entlassmanagement benannt worden; insgesamt waren in acht Teilnahmeanträgen Nachunternehmer benannt worden. Darüber hinaus hatte ein Bieter in einem weiteren Teilnahmeantrag angegeben, dass eine externe Softwarelösung benötigt werde. Die Antragstellerin reichte selbst keinen Teilnahmeantrag sein. Gleichwohl die Antragstellerin sich als Nachunternehmerin anderer Bieter einsetzen ließ, wendete sie sich zugleich gegen die Ausgestaltung des Vergabeverfahrens.
Die Antragstellerin rügte die Verletzung von subjektiven Rechten gem. § 160 Abs. 2 GWB. Vorliegend sei der Antragstellerin durch die fehlenden losweise Vergabe die Abgabe eines Angebotes mit realistischen Erfolgsaussichten unmöglich. Bei einer losweisen Vergabe bestünde für die eine Chance auf die Zuschlagserteilung hinsichtlich des Loses für das digitale Entlassmanagement, so dass ihr aufgrund des Verstoßes auch ein Schaden drohe.
Mangels Abhilfe reichte sie einen Nachprüfungsantrag bei der zuständigen Vergabekammer ein.
2. Die Entscheidung der Vergabekammer
Der Nachprüfungsantrag war nach Ansicht der VK zulässig und begründet.
Obwohl die Antragstellerin keinen Teilnahmeantrag eingereicht habe, sei sie nach Auffassung der VK antragsbefugt, da sie zumindest ein Interesse an dem Auftrag nachweisen könne. Mangels Losaufteilung drohe ihr ein Schaden, da ihre Chancen auf einen Zuschlag im Rahmen einer Ausschreibung für das Entlassmanagement zumindest nicht ausgeschlossen seien.
Darüber hinaus sieht die VK den Antrag auch als begründet an. Die fehlende Losaufteilung verletze die Antragstellerin in ihren Rechten gem. § 97 Abs. 4 S. 2 GWB. Danach sind Leistungen grundsätzlich in Fachlosen zu vergeben. Bei den Leistungen des Aufnahme- und Behandlungsmanagements sowie des Entlassmanagements handele es sich um getrennte Märkte. Daneben sei die avisierte Gesamtvergabe angesichts der Umstände des Einzelfalls nicht ausnahmsweise zulässig.
Die VK betont zunächst, dass dem Auftraggeber grundsätzlich ein weites Leistungsbestimmungsrecht zukomme. Dies bestehe allerdings nicht uneingeschränkt und werde u.a. durch das Gebot der Mittelstandsförderung begrenzt. Danach sind Leistungen grundsätzlich in Losen zu vergeben. Für die Frage der Losaufteilung sei u.a. von wesentlicher Bedeutung, ob ein eigenständiger Anbietermarkt in dem jeweiligen Marktsegment bestehe. Maßgeblich sei diesbezüglich die Vergabedokumentation, bei der sich der jeweilige Auftraggeber intensiv mit der Ausnahme von der Losaufteilung befassen müsse. Nach § 97 Abs. 4 GWB ist es erforderlich, dass wirtschaftliche oder technische Gründe die Gesamtvergabe erfordern.
Im konkreten Fall hatte der Auftraggeber in dem Vergabevermerk zur Begründung der Gesamtvergabe aufgeführt, dass die Leistungen in Bezug auf den Fördertatbestand 2 nicht teilbar seien. Insbesondere bestünde insoweit kein eigener Anbietermarkt.
Diese Auffassung teilte die VK nicht. Die VK führt zunächst an, dass aufgrund der unterschiedlichen Zielsetzungen des Aufnahme- und Behandlungsmanagements sowie des Entlassmanagements (die sich aus der Förderrichtlinie [Ziff. 4.3.2 ff.] ergeben die Annahme eines eigenständigen Bietermarkts nahe liege. Im Aufnahme- und Behandlungsmanagement stünden demnach hauptsächlich die Patienten im Fokus. Der Bereich des Entlassmanagements habe hingegen die Entlastung der Mitarbeiter zum Ziel.
In diesem Zusammenhang zieht die VK auch die Erkenntnisse aus den eingegangenen Teilnahmeanträge heran. Diese spiegelten die Marktlage umfassend wieder, denn in acht von zehn Teilnahmeanträgen sei für das Entlassmanagement ein Nachunternehmer benannt worden. Interessanterweise sei in fünf Teilnahmeanträgen die Antragstellerin als Nachunternehmerin genannt worden. In einem weiteren Teilnahmeantrag gab ein Bieter zudem an, dass eine externe Softwarelösung benötigt werde.
Die VK sieht unter den konkreten Umstände Einzelfalls die zusammenfassende Vergabe auch nicht ausnahmsweise als gerechtfertigt an. Nach § 97 Abs. 4 S. 3 GWB kann von der Losaufteilung ausnahmsweise abgesehen werden, wenn wirtschaftliche oder technische Gründe dies erfordern. Diese hat der Auftraggeber umfassend anhand der aktuellen Marktlage zu prüfen und zu dokumentieren. Dem Auftraggeber steht diesbezüglich grundsätzlich eine weite Einschätzungsprärogative zu. Diese kann durch die Nachprüfungsinstanzen nur begrenzt überprüft werden. Entscheidend sei nach Ansicht der VK, ob die Entscheidung für eine Gesamtvergabe auf einer vollständigen und zutreffenden Sachverhaltsermittlung beruhe. Dies war hier nicht der Fall. Vorliegend sei der Auftraggeber von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen, da er ausweislich der Vergabedokumentation einen einheitlichen Markt für den Bereich des Aufnahme- und Behandlungsmanagement sowie für das Entlassmanagement angenommen habe. Bereits die Teilnahmeanträge mit den ausgewiesenen Nachunternehmerleistungen in diesen Bereichen belegen aus Sicht der VK das Gegenteil.
3. Praxishinweise
Die Entscheidung zeigt sehr deutlich: Sämtliche Erwägungen in Bezug auf eine Gesamtvergabe sollten umfassend in einem Vergabevermerk dokumentiert werden. Hier gilt der Grundsatz „Wer schreibt der bleibt“.
Um dabei eine passgenaue Einschätzung treffen zu können, sollten v.a. Fördermittelempfänger (sowohl aus dem öffentlichen als auch aus dem privaten Sektor) sich im Vorfeld einer Vergabe umfassend mit dem betreffenden Markt auseinander setzen. Die technischen und wirtschaftlichen Gründe, die eine Gesamtvergabe erforderlich machen, sind möglichst umfassen zu dokumentieren. Dies ist insbesondere auch im Fördermittelkontext von erheblicher Bedeutung.
Grundsätzlich gilt im Fördermittelbereich: Auch Unternehmen, die nicht als öffentliche Auftraggeber i.S.d. §§ 98 GWB einzuordnen sind, können im Fördermittelkontext (KHZG-Förderungen und darüber hinaus) regelmäßig an das Vergaberecht gebunden werden. Die jeweils geltenden Vorgaben ergeben sich dabei i.d.R. aus den Fördermittelbestimmungen. Aufgrund des im Haushaltsrecht geltenden Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit sind Fördermittelgeber – sofern der Fördermittelempfänger erheblich gegen das Vergaberecht verstoßen hat – zur Rückforderung der Fördermittel (inkl. möglicher Zinsen) verpflichtet. Die (teilweise) Rücknahme des Zuwendungsbescheids kann im Einzelfall die Existenz des Unternehmens berühren. Um dies zu vermeiden, sind Fördermittelempfänger gut beraten, sich mit den Vorgaben des jeweils geltenden Vergaberechtsregimes umfassend auseinanderzusetzen.