Werden nahe Angehörige, insbesondere Abkömmlinge, Eltern oder der Ehegatte durch eine letztwillige Verfügung enterbt, so steht ihnen ein gesetzlicher Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsanspruch in Höhe der Hälfte ihres gesetzlichen Erbteils gegen die Erben zu. Ein Pflichtteilsberechtigter kann seine Pflichtteilsansprüche allerdings nur beziffern und durchsetzen, wenn er Kenntnis über den Bestand und den Wert des Nachlasses hat. Zu diesem Zweck gewährt ihm § 2314 BGB Auskunfts-und Wertermittlungsansprüche gegenüber dem Erben. Der Umfang dieser Auskunfts- und Wertermittlungsansprüche waren zuletzt Gegenstand von Entscheidungen des Bundesgerichtshofs („BGH)“:
BGH, Urteil vom 20.05.2020 – IV ZR 193/19.
Mit Urteil vom 20.05.2020 entschied der BGH, dass einem Pflichtteilsberechtigtem ein Anspruch auf Berichtigung bzw. Ergänzung eines notariellen Nachlassverzeichnisses auch dann zustehen kann, wenn dieses wegen unterbliebener Mitwirkung des Erben teilweise unvollständig ist.
Grundsätzlich gilt: Ein Pflichtteilsberechtigter kann verlangen, dass ein Nachlassverzeichnis durch einen Notar aufgenommen wird (§ 2014 Abs. 1 Satz 3 BGB). Liegt dieses vor, kann der Pflichtteilsberechtigte grundsätzlich keine Berichtigung oder Ergänzung verlangen, es sei denn, in dem Nachlassverzeichnis sind Nachlassgegenstände oder Angaben über Schenkungen nicht aufgeführt oder der Notar hat sich auf die Wiedergabe der Bekundungen des Erben ohne eigene Ermittlungstätigkeit beschränkt.
Mit seiner Entscheidung vom 20.05.2020 hat der BGH eine weitere Ausnahme zugelassen. Danach besteht ein Anspruch auf Ergänzung und Berichtigung des Nachlassverzeichnisses auch dann, wenn das notarielle Nachlassverzeichnis durch fehlende Mitwirkung des Erben teilweise unvollständig ist. Mit dieser begrüßenswerten Entscheidung stärkt der BGH die Position des Pflichtteilsberechtigten insbesondere gegenüber unkooperativen Erben.
BGH, Urteil vom 29.09.2021 – IV ZR 328/20
Dem Pflichtteilsberechtigten steht gemäß § 2314 BGB auch ein Anspruch auf Wertermittlung gegen die Erben zu. Gerade bei Vorhandensein von Nachlassimmobilien kommt diesem Wertermittlungsanspruch eine wesentliche Bedeutung zu.
Bislang konnten sich die Erben dem Wertermittlungsanspruch des Pflichtteilsberechtigten allerdings entziehen, indem eine Nachlassimmobilie kurze Zeit nach dem Erbfall verkauft wurde. Für die Berechnung der Pflichtteilsansprüche war dann allein der erzielte Verkaufserlös maßgeblich, selbst wenn dieser offensichtlich zu niedrig erschien.
Der BGH hat dieses Problem erkannt und den Erben nun „einen Riegel vorgeschoben“. Er entschied, dass ein Wertermittlungsanspruch gemäß § 2314 Abs. 1 Satz 2 BGB auch nach dem Verkauf eines Nachlassgegenstandes besteht, wenn der Pflichtteilsberechtige ein fortbestehendes Interesse an der Wertermittlung geltend machen kann Ein solches Interesse besteht z. B: dann, wenn unterschiedliche Expertisen vorliegen und diese kein klares Bild über den Wert der Immobilie zeichnen. Auch bei einem schon veräußerten Grundstück muss eine Wertermittlung dann möglich bleiben, um den tatsächlichen Wert ermitteln zu können. Anderenfalls werde der Nachweis verwehrt oder zumindest erschwert, dass der Veräußerungserlös nicht dem tatsächlichen Verkehrswert entsprochen habe. Der BGH stellt dabei klar, dass die Wertermittlung gemäß § 2314 Abs. 1 Satz 2 BGB durch ein unparteiischen Sachverständigen erfolgen muss, unabhängig davon, ob es sich um einen öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen handelt.
Auch dieses höchstrichterliche Urteil stärkt die Position der Pflichtteilsberechtigten.
BGH Urteil vom 30.11.2022 – IV ZR 60/22
Die Auskunfts- und Wertermittlungsansprüche gemäß § 2314 BGB stehen nur dem Pflichtteilsberechtigten zu, der nicht Erbe geworden ist. Gemeint ist damit natürlich zunächst der enterbte Pflichtteilsberechtigte. Was aber gilt, wenn der Pflichtteilsberechtigte seine fehlende Erbenstellung selbst, z.B. durch Ausschlagung seines Erbteils, herbeigeführt hat?
Der BGH ist nunmehr in dem entschiedenen Fall der herrschenden Meinung gefolgt und hat einem Pflichtteilsberechtigten auch nach Ausschlagung seines Erbteils ein Auskunftsanspruch aus § 2314 Abs. 1 BGB zugestanden.
Im Ergebnis hat der BGH durch seine vorstehenden Urteile die Position gestärkt, was bei der Nachfolgeberatung und –gestaltung zu beachten ist und auch neuen Handlungsspielraum eröffnet.