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28.02.2023

Bereichsausnahme in NRW (doch) anwendbar!

Die Bereichsausnahme Gefahrenabwehr/Rettungsdienst bewegt seit 2016 die Gemüter. Im wegweisenden Verfahren vor dem EuGH (SKW Schwarz hatte dieses erfolgreich begleitet) hat der Gerichtshof geklärt, dass diese Ausnahme vom Vergaberecht rechtskonform ist. Rettungsdienstleistungen (incl. qualifizierter Krankentransport) müssen grundsätzlich nicht nach EU-Vergaberecht ausgeschrieben werden. Unklar ist noch in manchen Bundesländern, ob landesrechtliche Regelungen verhindern, dass ein Träger die Bereichsausnahme nutzt.

Mit seiner Entscheidung vom 16.12.2022 (AZ: 13 B 839/22) hat das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen entschieden, dass die aktuell geltende Fassung des § 13 Abs. 1 RettG NRW der Anwendbarkeit der Bereichsausnahme nicht entgegensteht. Die Entscheidung ist unanfechtbar (vgl. § 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 S. 5, 66 Abs. 3 S. 3 GKG).

Eine Kreisstadt hatte Rettungsdienstleistungen unter Anwendung der Bereichsausnahme gem. § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB ausgeschrieben. Der Bestandsdienstleister – ein privater Rettungsdienst – ist vom Auftraggeber aus formalen Gründen vom weiteren Verfahren ausgeschlossen worden. Nachdem der „Private“ den Ausschluss gerügt hat, erhob er Klage vor dem VG Gelsenkirchen.

Das VG Gelsenkirchen vertrat (wie zuvor Vergabekammer in NRW) in seiner Entscheidung vom 13.07.2022 (AZ: 15 L 743/22) die Auffassung, dass die Bereichsausnahme in NRW keine Anwendung finde. Damit unterliege die Vergabe von Leistungen im Rettungsdienst dem Vergaberecht (§§ 97 ff. GWB).

Das OVG NRW sah es anders: Der Verwaltungsrechtsweg gem. § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO ist eröffnet (Hintergrund: Rettungsdienstleistungen gehören im Gegensatz zu Bauleistungen zum öffentlichen Recht). Das Gericht sieht insoweit keine abdrängende Sonderzuweisung zu den Vergabenachprüfungsinstanzen, da die Aufgaben des bodengebundenen Rettungsdienstes im Fall unter die Bereichsausahme „Rettungsdienst“ nach § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB fallen.

Nach dem OVG NRW steht (u.E. zu Recht) die aktuelle landesgesetzliche Regelung der Bereichsausnahme nicht entgegen. Entgegen der Ansicht der Vergabekammer und der Vorinstanz fordert das OVG NRW für die Anwendung der Bereichsausnahme in Nordrhein-Westfalen keine explizite landesgesetzliche Privilegierung gemeinnütziger Organisationen oder Vereinigungen im nordrhein-westfälischen Rettungsgesetz. Das VG Gelsenkirchen kam in erster Instanz (B. v. 13.07.2022 – 15 L 743/22) noch zu dem Ergebnis, dass es wesentlich auf die Ausgestaltung der landesrechtlichen Regelung ankomme. Nur wenn das RettG NRW gemeinnützige Organisationen (zumindest fakultativ, aber ausdrücklich) privilegiere, sei der Anwendungsbereich der Bereichsausnahme eröffnet. Bestünde hingegen eine Gleichrangigkeit, so könne sich der Auftraggeber nicht auf die Bereichsausnahme berufen.

In § 13 Abs. 1 RettG NRW heißt es in diesem Zusammenhang:

„Der Träger rettungsdienstlicher Aufgaben kann die Durchführung des Rettungsdienstes …auf anerkannte Hilfsorganisationen und andere Leistungserbringer … übertragen.“

Das OVG NRW nimmt eine differenzierende Auslegung vor. Die Frage einer Privilegierung gemeinnütziger Organisationen oder Vereinigungen könne nur im Einzelfall in Bezug auf die konkrete Beauftragung entschieden werden. Der Wortlaut des Art. 10 Buchst. h der Richtlinie 2014/24/EU lasse die Anwendung der Bereichsausnahme auch mit der bestehenden Regelung in NRW zu. Maßgeblich sei die Auslegung des Tatbestandsmerkmals „erbracht werden“. Sowohl nach dem Sinn und Zweck, der Systematik und auch nach dem Wortlaut von Art. 10 Buchst. h der Richtlinie sei dabei auf das konkrete Vergabeverfahren abzustellen.

Daneben habe der Landesgesetzgeber in der Gesetzesbegründung zu § 13 Abs. 1 RettG NRW klargestellt, dass ggf. einschlägiges Haushalts- und Vergaberecht durch die Vorschrift unberührt bleibe. § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB sei höherrangiges Recht und gehe der Regelung daher vor. Das OVG NRW stellt klar, dass die Entscheidung darüber, ob ein Auswahlverfahren für Leistungen des bodengebundenen Rettungsdienstes auf gemeinnützige Hilfsorganisationen beschränkt werden solle, stets im Ermessen des jeweiligen Trägers liege. Letztlich entscheide dieser im Rahmen jedes Beschaffungsvorganges darüber, ob er von der Bereichsausnahme Gebrauch machen wolle oder nicht.

Rechtsauffassung der VK Westfalen

Das OVG setzt sich – u.E. zu Recht – somit deutlich von der jüngsten Entscheidung der VK Westfalen (B. v. 15.06.2022 - VK 1-20/22) zur Bereichsausnahme ab. Diese war der Auffassung, dass die Bereichsausnahme in NRW mit der bestehenden landesgesetzlichen Regelung nicht angewendet werden könne.

Aus Sicht der Vergabekammer fehlt es an der Möglichkeit im Landesrecht, Hilfsorganisationen zu privilegieren. So sehe § 13 RettG NRW die Öffnung des Wettbewerbs auch für private Leistungserbringer vor. Anders als das OVG weist die VK die Auffassung zurück, dass sich eine Privilegierungsmöglichkeit der Hilfsorganisationen unmittelbar aus § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB ergebe. § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB eröffne ausschließlich die Möglichkeit, von der Bereichsausnahme Gebrauch zu machen. Inwieweit oder ob diese Möglichkeit in Anspruch genommen werden darf, hänge maßgeblich von der landesrechtlichen Ausgestaltung ab. § 13 Abs. 1 RettG NRW präzisiere als landesrechtliche Vorgabe, dass neben anerkannten Hilfsorganisationen auch andere Leistungserbringer bei der Übertragung von Aufgaben des Rettungsdienstes in Frage kommen.

Gegen die Entscheidung der VK Westfalen ist derzeit eine sofortige Beschwerde bei dem OLG Düsseldorf (AZ: VII Verg 28/22) rechtshängig.

Bisherige Entscheidungspraxis in anderen Bundesländern

Die Entscheidung des OVG NRW hebt sich etwas von der bisherigen Linie der Nachprüfungsinstanzen und Gerichte in anderen Bundesländern ab. Bislang hat sich in der Rechtsprechung (u.a. Hamburg, Niedersachsen, Brandenburg) die Rechtsauffassung herausgebildet, dass das jeweilige Landesrecht die Privilegierung von Hilfsorganisationen ausdrücklich vorsehen muss. Kritisch waren Regelungen, die gemeinnützige Hilfsorganisationen sowie private Dienstleister gleichrangig berücksichtigten. Strittig in der Auslegung ist, ob eine Nennung beider Gruppen per se einen zwingenden Gleichrang erzeugt oder ob (wie in NRW, was die Historie der Gesetzgebung belegt) dadurch nur Konformität zum Bundesrecht erzeugt werden sollte. Dieses hatte ja vor 2016 Gleichbehandlung und damit Vergabeverfahren nach EU-Vergaberecht erzwungen.

Ausblick

Ob sich das OLG Düsseldorf in der noch ausstehenden Entscheidung der Rechtsauffassung des OVG NRW anschließt, ist bis dato nicht absehbar. Am 01.03.2023 findet die mündliche Verhandlung vor dem OLG Düsseldorf statt. Sofern der Vergabesenat von der Rechtsauffassung des OVG NRW abweicht, wäre das OLG analog § 179 Abs. 2 GWB zur „Divergenzvorlage“ an den BGH verpflichtet. Nur so könnte eine einheitliche Spruchpraxis in Vergaberechtsfragen gewährleistet werden. Für den Fall, dass das OLG sich der Rechtsauffassung des OVG anschließt und sich für unzuständig erklärt, kann es nach § 17a Abs. 2 GVG an das zuständige Verwaltungsgericht verweisen.

Die Rechtslage bleibt spannend. Einige Bundesländer (z.B. Niedersachsen, Hamburg) haben ihre Rettungsdienstgesetze angepasst, um Unsicherheiten auszuräumen. Aktuell wird auch in NRW diskutiert, das Landesrecht zu ändern. SKW Schwarz hat hierzu beraten.

Ungeklärt ist weiter die Frage, ob eine rein formale Gemeinnützigkeit ausreicht, damit ein Unternehmen unter der Bereichsausnahme berücksichtigt werden kann. Entstehung, Wortlaut und Sinn von Gesetz/Richtlinie sprechen dafür, dass mit der Bereichsausnahme Gefahrenabwehr Organisationen bevorzugt werden sollen, die einen „Mehrwert für den Bevölkerungsschutz“ sicherstellen (dazu René M. Kieselmann/Mathias Pajunk, „Bestätigung der Bereichsausnahme Rettungsdienst - Weiterer Baustein in der Entscheidungspraxis durch das OLG Hamburg“, NZBau 2021, 174 (Besprechung von OLG Hamburg Beschl. v. 16.4.2020 – 1 Verg 2/20, NZBau 2021, 210)).

SKW Schwarz hat zum Thema diverse Beiträge auch auf dem Vergabeblog veröffentlicht.

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